pte20071006004 in Leben

Zukunft der Musikindustrie: "Mainstream ist unsexy"

Popkomm-Direktorin Katja Bittner im pressetext-Interview


Popkomm-Direktorin Katja Bittner bei der Messe-Eröffnung (Foto: popkomm.de)
Popkomm-Direktorin Katja Bittner bei der Messe-Eröffnung (Foto: popkomm.de)

Berlin (pte004/06.10.2007/06:20) Die Popkomm hat in diesem Jahr so viele Aussteller und Fachbesucher angelockt wie noch nie seit dem Umzug nach Berlin vor vier Jahren. Mit 886 Ausstellern aus 57 Ländern wurde eine Steigerung um acht Prozent erreicht. Die Zahl der Fachbesucher stieg leicht auf gut 15.000. Die Stimmung in der Musikindustrie ist nach den Rückschlägen der vergangenen Jahre wieder verhalten positiv. Im pressetext-Interview erläutert die Popkomm-Direktorin Katja Bittner die Schwierigkeiten einer Branche im rasanten Wandel, entwirft das Distributionsmodell der Zukunft und betont die positive Rolle des Internets für junge Bands.

pressetext: Die Popkomm war in diesem Jahr so erfolgreich wie noch nie seit ihrem Umzug nach Berlin. Wie war die Stimmung auf der Messe?

Bittner: Die Stimmung bei unseren Ausstellern und Besuchern war super. Wir haben gerade von den neuen, internationalen Ausstellern ein sehr gutes Feedback bekommen. Ich hoffe natürlich, dass es im nächsten Jahr so weiter geht. Wir sind ja mitten drin im Geschehen und schauen uns die rasanten Entwicklungen, die derzeit in der Musikbranche passieren, genau an. In diesem Jahr etwa war das Panel Film und Musik, das vor vier Jahren noch kaum jemanden interessiert hat, rappelvoll.

pressetext: Wie kommt das?

Bittner: Das liegt daran, dass mittlerweile das Bedürfnis nach verschiedenen Businessmodellen bei der Musikauswertung stärker wird, weil das normale Kerngeschäft zusammenschrumpft. Wir werden das Thema Filmmusik im nächsten Jahr ausbauen und uns den Bereich Werbung und Musik genauer anschauen. Solche Modelle werden wichtiger. Solange es in der Branche noch knirscht und viele Dinge ungeklärt sind, ist der Gesprächsbedarf einfach enorm. Und die Popkomm ist die perfekte Plattform dafür, weil sich hier die Leute aus allen möglichen Bereichen treffen. Ich gehe davon aus, dass wir weiterhin wachsen. Dieses Wachstum ist aber keineswegs aufgebläht, sondern nur so groß, wie es der Markt zulässt.

pressetext: Wo liegen derzeit die Schwachstellen der Musikbranche?

Bittner: Das größte Problem ist meiner Meinung nach, dass es keine Vereinheitlichung gibt. Jeder geht neue Wege, aber jeder geht völlig unterschiedliche. Und zwar nicht nur im Sinne der Vermarktung. Der Verrechnungsprozess dahinter, die Verwertung der Rechte, ist nicht ausreichend geregelt. Egal wie der Konsument an seine Musik kommt, was er dafür bezahlt, in welche Struktur das Ganze eingebunden ist - ob das ein Abo-System oder durch Werbung finanzierte Musik ist - die Frage ist, wie viel Geld kommt beim Künstler an. Darüber hinaus hat der Verbraucher nach wie vor eine Menge Barrieren.

pressetext: Was sind das für Barrieren?

Bittner: Es gibt jede Menge Formate und mobile Geräte und die wenigsten sind miteinander kompatibel. Mittlerweile muss man fast ein Technik-Freak sein, um sich mit den ganzen Formaten und Software-Lösungen auszukennen. Für den normalen Musik-User ist das auch zu kompliziert. Ich gebe offen zu: Mir ist das zu kompliziert. Der Verbraucher will Spaß an der Musik haben und nicht überlegen, ob sich der Titel von A nach B transferieren lässt, wie das geht und ob er damit nicht aus Versehen irgendwelche Rechte verletzt.

pressetext: Was wäre die ultimative Lösung für dieses Problem?

Bittner: Das Erfolgsrezept liegt bei der Branche selbst. Es muss eine einheitliche Abrechnungsstruktur her, die alle gleichermaßen benutzen. Die Technik muss untereinander kompatibel sein. Der User sollte in Zukunft in der Lage sein, ein Musikstück, dass er egal wo erwirbt, auf jedem seiner Musikgeräte - sei es die heimische Musikanlage, der MP3-Player oder das Handy - ohne Behinderung abspielen zu können. Die Barrieren für den Nutzer, Musik legal herunterzuladen, müssen so niedrig wie möglich sein. Daran arbeitet die Branche. Es ist aber nicht einfach. Wir leben in einer globalen Welt. Die Lizenzierung muss in Zukunft über Ländergrenzen hinaus reibungsloser und einheitlicher funktionieren.

pressetext: Die Band Radiohead hat Anfang der Woche ihr neues Album mit einer Überraschung angekündigt. Die Fans dürfen den Preis selbst bestimmen. Sind Record-Labels in Zukunft überhaupt noch nötig?

Bittner: Meiner Meinung nach ja. Der Künstler selber wird ab einer bestimmten Größe auch in Zukunft ein professionelles Umfeld brauchen. Die wenigsten Künstler oder Bands haben BWLer oder Juristen in ihren Reihen, die sich mit Abrechnungssystemen auskennen oder wissen wie ein Vertrag aussehen muss, damit sie ihre Rechte behalten und an ihr Geld kommen. Jeder auf dem Musikmarkt erfüllt seine Aufgabe.

pressetext: Welche Rolle spielt das Internet?

Bittner: Vor allem junge Bands haben dadurch jetzt die Möglichkeit, unabhängig von einem Label, einer Radiostation oder einem Musik-TV-Sender ihre Musik nach draußen zu bringen. Sie haben mittlerweile die Möglichkeit, sich im Netz über eigens gegründete Portale einen Basisstamm an Fans aufzubauen. Diese Möglichkeit bestand ja vor der Internetrevolution gar nicht. Jetzt ist Interaktion gefragt. Niemand will sich nur noch bedudeln lassen. Der Musikfan will sich austauschen, will in irgendeiner Form involviert sein. Das ist natürlich die größte Chance für junge Bands und es haben auch schon einige Musiker gezeigt, dass sie über das Internet einen gewissen Bekanntheitsgrad erreicht haben. Dennoch: Ab einem bestimmten Zeitpunkt, wenn es darum geht, Platten zu verkaufen, an den Mann zu bringen, Marketing zu machen, werden die meisten Bands überfordert sein.

pressetext: Was sind die bestimmenden Themen der Musikbranche in den kommenden Jahren?

Bittner: Es wird interessant sein, was mit dem digitalen Bereich passiert. Die legalen Download-Zahlen wachsen jährlich. Das fängt aber längst noch nicht die Verluste auf, die der Markt für physische Tonträger derzeit erleidet. Die Frage ist: Will der Konsument überhaupt noch Musik besitzen? Reicht es nicht, so einfach wie möglich Zugang zur Musik zu haben - egal von wo und egal auf welchem Abspielgerät? Fraglich ist aber, wie sich das Ganze von den Rechten her realisieren lässt. Letztendlich müsste es einen Anbieter geben, der die Musik von allen Labels lizenziert und die Titel aufnimmt. Meine Zukunftsvision ist eine Art universelle Musikbank, die jederzeit den Zugriff auf die gewünschten Titel ermöglicht. Davon sind wir aber noch weit entfernt. Aber die Musikbranche arbeitet daran.

Die digitale Welt ist aber nur ein Teil des Musikuniversums. Dann existiert ja noch die gesamte Welt der Musikauswertung, der Auswertung eines Künstlers als Marke. Abgesehen von Konzert und DVD-Veröffentlichung und Merchandising. Auch da wird die Auswertungskette immer vielfältiger. Das liegt daran, dass der Konsum des einzelnen immer individueller wird. Niemand ist mehr darauf angewiesen, sich von einem Massenmedium vorschreiben zu lassen, wer hip ist und was er hören soll. Es war ja noch nie so angesagt, unbekannt zu sein, sich auf MySpace von Musikfans entdecken und an andere Leute weiterempfehlen zu lassen.

pressetext: Wird also in Zukunft mehr Geld mit Konzerten und Merchandising verdient, als mit den Musikverkäufen?

Bittner: Das lässt sich so gar nicht beantworten. Zurzeit sieht es danach aus. Die Musiker machen mehr Konzerte, weil der Tonträgermarkt einbricht. Dafür werden aber die Konzerttickets teurer. Wir reden aber von einer Verschiebung. Es ist ja nicht so, dass insgesamt mehr Geld da ist. In Zukunft wird es davon abhängen, wie schnell und wie gut die Technologien funktionieren, damit der Musikkonsum außerhalb des Live-Konzerts so einfach wie möglich ist. Dann kann man darüber nach wie vor gutes Geld verdienen. Neben den Musikfreaks wird es immer die Masse geben, die darauf angewiesen ist, die zum Beispiel für ein Empfehlungssystem dankbar ist, das ihren Musikgeschmack bedient. Aber weil Mainstream ja mittlerweile so unsexy ist, sichert der User sich eher individuelle Tools, die auf seinen Geschmack abgestimmt sind.

pressetext: Vielen Dank für das Gespräch.

(Ende)
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