pte20210527002 Medien/Kommunikation, Politik/Recht

De Weck: "Zeit des Rechtsrucks ist vorbei"

Ex-"Die Zeit"-Herausgeber diskutiert bei den Europäischen Toleranzgesprächen 2021


Fresach/Villach (pte002/27.05.2021/06:05)

„Wir erleben im Moment einen doppelten Schock durch Corona und Donald Trump, der einen echten Wandel herbeiführen kann: Einerseits wird der Populismus zunehmend in die Defensive gedrängt und andererseits verschiebt sich das gesamte Parteispektrum wieder weiter nach links." Mit dieser Einschätzung sorgte der Schweizer Publizist Roger de Weck im Rahmen der siebten Europäischen Toleranzgespräche http://fresach.org für eine spannende Diskussion, an der sich nicht nur die geladenen Experten am Podium, sondern auch das Publikum rege beteiligte. Um die Demokratie zu stärken, müsse diese aber dringend modernisiert werden, so der ehemalige „Die Zeit"-Herausgeber.

[b]Politik im Dienst der Wirtschaft[/b]

„Die Zeit des Rechtsruckes ist vorbei. Ich bin optimistisch, dass sich die Politik immer mehr von den Fesseln der Wirtschaft befreien kann und wir von einer neoliberalen zu einer echten liberalen Demokratie zurückkehren werden, in der es wieder mehr Gerechtigkeit gibt und der Populismus zurückgedrängt werden kann", brachte De Weck seine Sicht der Dinge gleich zu Beginn der Diskussion auf den Punkt. Diese hat er unter anderem in seinem neuen Buch „Die Kraft der Demokratie" formuliert, das derzeit für viel Aufmerksamkeit sorgt.

In den letzten Jahrzehnten habe sich die Politik zu sehr in den Dienst der Wirtschaft gestellt, statt das zu tun, was eigentlich ihre Aufgabe in einer Demokratie ist – nämlich dem Markt Rahmenbedingungen zu setzen. „Diese Entwicklung hat schon mit Margaret Thatcher und Ronald Reagan angefangen und sich dann durch jenen Teil der Sozialdemokraten verschärft, der durch eine freiere Wirtschaft mehr Wachstum und damit auch mehr Möglichkeiten zur Umverteilung erreichen wollte. Das Wachstum kam zwar, die Umverteilung aber nicht", resümierte der langjährige Chef des Schweizer Fernsehens: „Das hat der Demokratie schweren Schaden zugefügt".

[b]Echte Wende beobachtbar[/b]

Doch viele Menschen würden sich mittlerweile dem Primat der Wirtschaft über die Politik entgegenstellen, sodass dieses zunehmend zu bröckeln beginnt. „Die Bürger wollen einfach nicht mehr akzeptieren, dass die Politik den Interessen der Wirtschaft folgt. Hier ist eine echte Wende zu beobachten, die sich auch in den politischen Programmen widerspiegelt", gab sich De Weck überzeugt. Bestes Beispiel hierfür sei die USA, wo Joe Biden als bisherige Verkörperung der politischen Mitte neuerdings eine Politik mache, die „linker ist als alles, was die Grünen in Deutschland vorschlagen".

So plane die neue US-Regierung etwa milliardenschwere Ausgabeprogramme und den Ausbau des Sozialstaates. „Man muss sich das vorstellen. Das geht sogar bis hin zu einer Kindergeldregelung – das ist etwas, das es bislang in der Geschichte der Vereinigten Staaten noch nie gegeben hat", betonte der Experte: „Das ist aus meiner Sicht eine völlig neue Situation. Die letzten drei, vier Jahrzehnte hat man alles für den Markt getan und plötzlich sehen wir Programme, die die Wirtschaft digital und ökologisch ausrichten möchten."

[b]Arme wurden ärmer[/b]

Eine treibende Kraft für das Umdenken in den Köpfen von Politikern und Bürgern sei sicherlich die gewachsene Ungerechtigkeit innerhalb der Gesellschaft. „Wir leben in einer Welt, in der ein Jeff Bezos bei seiner Scheidung 190 Mrd. Dollar aufteilt und in den meisten Ländern keine Steuern zahlen muss. Gleichzeitig hat man den Ärmsten eine Last nach der anderen aufgebürdet. Dadurch wurden sie noch ärmer, während die Reichen noch reicher geworden sind", schilderte De Weck die Lage.

Die Mittelschicht, die ja eigentlich als wichtige Trägerin einer Demokratie fungiere, sei bei dieser Entwicklung auf der Strecke geblieben. „Sie ist in weiten Teilen der westlichen Welt erodiert. Aber auch hier zeigt sich ein Wandel. Der Staat entdeckt immer mehr, dass er eine Gestaltungskraft hat, um solche Entwicklungen mitzusteuern. Denn je mehr Ungleichheit es gibt, desto mehr leidet die Demokratie", erläuterte der Publizist. Letztlich könne der Staat bei diesen Dingen aber genauso wenig eine Patentlösung sein wie der Markt: „Ein gutes Zusammenspiel scheint mir hier essentiell zu sein".

[b]Wichtige Rolle der Medien[/b]

Auf jeden Fall käme es in einer echten, liberalen Demokratie nicht nur auf die Politik, sondern auch auf die Medienlandschaft an, wie ein Teilnehmer aus dem Publikum noch kurz feststellte. Dank des Internets und der sozialen Medien hätte heute schließlich jeder Einzelne deutlich mehr Möglichkeiten, sich zu informieren. „Das Problem ist die gute und solide Information der breiten Bevölkerung", beantwortete De Weck die Frage. Diese leide durch die zunehmende Medienkonzentration, den Abbau der Redaktionen und der Tatsache, dass Journalismus heute oft aus reinen Machtaspekten heraus betrieben wird.

„Das gilt auch für die öffentlich-rechtlichen Medien. Es ist eine absurde Entwicklung, wenn bürgerliche Parteien versuchen, die Öffentlich-Rechtlichen zu schwächen. Damit schwächen sie ihre eigene Basis – und das zu Gunsten von kommerziell überspitzenden Boulevard-Medien, die dann die extremistischen Parteien bespielen. Wohin diese Entwicklung führen kann, sehen wir in den USA. Dort ist die Spaltung der Gesellschaft enorm, weil es nur noch die eine oder die andere Seite und niemanden gibt, der Brücken bauen kann", so der Schweizer Autor.



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