pte20250718004 in Forschung

Online-Dating: Konsum statt Partnersuche

Köhler: "Apps wollen dich nicht glücklich machen. Sie wollen dich so lange wie möglich halten"


Thomas R. Köhler:
Thomas R. Köhler: "Wer klug ist, sucht sich einen Partner im wahren Leben" (Foto: thomaskoehler.com)

Rottach-Egern/Wien (pte004/18.07.2025/06:15)

Digitale Plattformen oder Apps zur Partnersuche liegen weiter im Trend. Doch auch vor dem Hintergrund des immer ausgefeilteren Profilings der User durch die Anbieter geraten die Dienste immer wieder in die Kritik. pressetext sprach mit Social-Media- und Technologie-Experte Thomas R. Köhler über die Chancen der Partnersuche im Word Wide Web, das Kalkül der Plattformbetreiber und den Einfluss von Künstlicher Intelligenz (KI) in diesem Bereich.

pressetext: Herr Köhler, ein männlicher Tinder-Nutzer, so berichtet es Deutschlandfunk Nova, hat rund 10.000 Mal geswipt, davon 2.560 Mal nach rechts. 18 Matches kamen dabei heraus. Wie sehen Sie das "Überangebot" an potenziellen Partnern?
Köhler: Ich halte dieses Überangebot für eine Illusion - gerade für Männer. Die Plattformen sehen nach unendlichen Möglichkeiten aus, aber am Ende wischen Millionen Männer einer viel kleineren Zahl von Frauen hinterher. Wir sprechen hier teilweise von 70 bis 80 Prozent Männeranteil. Diese Schieflage sorgt dafür, dass Männer endlos swipen müssen, um überhaupt sinnvolle Matches zu bekommen. Das Überangebot ist also kein Überangebot für alle, sondern für viele ein Dauerkreislauf aus Frust und Hoffnung. Am Ende zeigt die App nur Bilder, und zwar nichts als Bilder. Echte Begegnung? Fehlanzeige!

pressetext: Laut einer Umfrage des Digitalverbands BITKOM würden 78 Prozent eher eine klassische Bekanntschaft bevorzugen und lieber jemanden real kennenlernen. Ist Online-Dating ein Auslaufmodell?
Köhler: Online-Dating wird so schnell nicht verschwinden - aber die Sehnsucht nach echten Begegnungen wächst. Die meisten spüren inzwischen, dass kein Algorithmus ein echtes Gespräch oder ein gemeinsames Erlebnis ersetzen kann. Solange die Apps mehr versprechen, als sie halten, bleibt die Lücke. Wer klug ist, sucht sie im wahren Leben, auf der Arbeit, im Sportverein, über Bekannte und Verwandte oder im Club.

pressetext: Welchen Stellenwert hat der Einsatz von KI auf Dating-Plattformen und welche Herausforderungen für die User gehen damit einher?
Köhler: KI kommt dann ins Spiel, wenn das Nutzerverhalten ausgewertet wird: Wer bleibt lange online? Wer wischt schnell weg? Was liked jemand? Wann bricht jemand ab? Aus diesen Daten lernt die Plattform, welche Profile Klicks bringen - und welche nicht. So entsteht ein Algorithmus, der die Menschen immer wieder dazu bringt, länger zu bleiben und mehr zu swipen als sie eigentlich wollen. Technisch gesehen bedeutet das: Die User werden durch den Algorithmus gesteuert, nicht nur bedient. Das ist keine neutrale Technik, sondern ein lernendes System. Es hat aber nicht die Liebe im Blick, sondern den maximalen Umsatz für das Unternehmen.

pressetext: Also verkommt Online-Dating, wie Sie ihr neues Buch betiteln, zur "Online-Falle"?
Köhler: Ja, genau das meine ich mit "Online-Dating-Falle". Die Plattformen wollen dich nicht glücklich machen. Sie wollen dich so lange wie möglich halten. Wer findet, was er sucht, steigt aber aus. Aus Plattform-Sicht wäre das ein Verlustgeschäft, denn mit jedem "Dating-Erfolg" verliert eine Dating-Plattform nicht nur einen, sondern gleich zwei Nutzer. Das zeigt, wie Dating-Apps ticken: Erfolg heißt für sie nicht, dass du die Liebe deines Lebens findest, sondern dass du weiterhin "swipen" musst und für ein Abo bezahlst. Das ist keine Partnersuche, das ist Konsum. Und wer das versteht, hat die beste Chance, da wieder rauszukommen.

pressetext: Vielen Dank für das Gespräch!

(Ende)
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