pte20100722014 in Leben

"Aids ist in Afrika kein Wegsterben wie die Fliegen"

Expertin von Ärzte ohne Grenzen über die Behandlung der HIV-Epidemie


Ariane Bauernfeind:
Ariane Bauernfeind: "Aids-Situation in Afrika ist deutlich besser geworden " (Foto: MSF)

Wien (pte014/22.07.2010/13:30) Aids ist zahlenmäßig besonders in den Ländern Afrikas südlich der Sahara ein Problem. In einzelnen Ländern ist jeder Fünfte mit dem HI-Virus infiziert. Eine der Organisationen, die die Menschen vor Ort behandeln, ist Ärzte Ohne Grenzen (MSF) http://www.aerzte-ohne-grenzen.at . Über die Tragweite der Krankheit, ihre Wahrnehmung im Norden und die Zukunft der Behandlung sprach pressetext anlässlich der internationalen Aidskonferenz mit Ariane Bauernfeind, MSF-Programmverantwortliche für die Länder Südafrika, Simbabwe, Lesotho und Malawi.

pressetext: Afrika hat immer noch das Image der Krisen, Katastrophen und Krankheiten. Wie dringend ist das Aids-Problem wirklich?
Bauernfeind: Man muss klar zwischen den einzelnen Ländern unterscheiden. In den südlichsten Ländern Afrikas ist die Aidsrate weltweit am höchsten und HIV nimmt das Leben der Betroffenen in die Hand. Es gibt zwar zahlreiche andere Probleme, doch werden diese durch die Immunschwächung eindeutig verschlimmert. So ist die Sterblichkeit durch Tuberkulose mit HIV weit höher. Das gleiche gilt für die Mütter- und Kindersterblichkeit.

pressetext: Hat Aids schon zu viel Aufmerksamkeit bekommen?
Bauernfeind: Nein. Allerdings stimmt es, dass der Norden die Krankheit als etwas Besonderes ansieht. Dahinter verbirgt sich vielleicht unsere Angst vor dem Tod und die Tatsache der sexuellen Übertragung. Zudem rüttelt auf, dass es bisher keine Heilung gibt. Da das Augenmerk auf HIV groß war, wurde auch in kurzer Zeit viel erreicht. So konnten sich etwa Geberorganisationen wie der Global Fund etablieren, dank der wesentliche Fortschritte in den von Aids betroffenen Ländern erzielt wurden.

pressetext: Geht dieser Fokus nicht auf Kosten anderer Krankheiten?
Bauernfeind: Im Gegenteil bringen viele der HIV-Maßnahmen rückwirkend Vorteile für andere Leiden. Wir haben gelernt, dass man große Krankheiten mit einfachen Mitteln bewältigen und dem Patient mehr Eigenverantwortung geben muss. Zudem besserten sich dadurch die Gesundheitssysteme und auch die Apotheken vor Ort. Allerdings wäre es wünschenswert, dass das Modell HIV auf andere Krankheiten übertragen wird, die meist vergessen werden. Seit 150 Jahren werden keine neuen Medikamente für Tuberkulose eingesetzt.

pressetext: Ärzte Ohne Grenzen ist für die Katastrophenhilfe bekannt. Warum ist auch Aids ein Thema?
Bauernfeind: Wir sind dort im Einsatz, wo Aids als Epidemie auftritt. Sobald gewisse Standards erreicht sind, übergeben wir an Strukturen vor Ort. Wir gingen in Sachen Aids im Jahr 2000 als eine der ersten Organisationen in ressourcenarme Länder. Damals bekam ein HIV-Positiver in Europa durchschnittlich 19 Fachärzte zu Gesicht und man ging davon aus, dass die Krankheit in Afrika nicht behandelbar ist. Wir haben gezeigt, dass einfache Lösungen ohne hoher Medikalisierung funktionieren. Dazu gehören Gesundheitszentren, die Aids wie jede andere Krankheit behandeln, Krankenschwestern und geschulte Patienten, die etwa Verantwortung für die Therapietreue und die Abholung der Medikamente für ihr Dorf übernehmen.

pressetext: Es gibt noch keine Heilung für Aids. Verbessert sich in Afrika die Situation?
Bauernfeind: Ja - und zwar deutlich. Etwa in Malawi brachte man uns die Patienten noch vor vier Jahren in Schubkarren und bei vielen war nur Sterbebegleitung möglich. Heute ist allgemeiner Zugang zu Medikamenten umgesetzt. Die Patienten holen diese monatlich ab, sind dadurch stärker geworden und können die Felder wieder bestellen, was für die Familien und die gesamte Wirtschaft wichtig ist. Die Sichtweise, dass HIV-Positive in Afrika dahinvegetieren und wie Fliegen wegsterben, ist schlichtweg falsch.

pressetext: Im Zuge der Wirtschaftskrise zögern reiche Länder, weiter in den Global Fund einzuzahlen. Was heißt das für die Situation vor Ort?
Bauernfeind: Es ist eine große Bedrohung. Verträge der Länder mit dem Global Fund geben den Patienten Sicherheit und erlauben, das Leben in die Hand zu nehmen. Vieles, was erreicht wurde, steht nun auf dem Spiel. Etwa in Uganda mussten Aidspatienten bereits von einer Klinik abgewiesen werden, oder in Malawi waren keine HIV-Tests mehr für Schwangere verfügbar. Die WHO-Behandlungsbestimmungen vom Dezember 2009 sehen einen möglichst frühen Therapiebeginn vor. Kürzungen gefährden diesen Plan enorm, zudem fragen die Länder oft gar nicht mehr um Unterstützung an.

pressetext: Prominente Geber wie Bill Gates oder Bill Clinton fordern effizientere HIV-Behandlung. Wie verstehen Sie Effizienz?
Bauernfeind: Aus Sicht der Patienten hieße es, dass HIV nicht gesondert von anderen Krankheiten behandelt wird. 70 Prozent der HIV-Positiven haben auch Tuberkulose und in Afrika gehen viele Patienten mehrere Fußstunden zur regelmäßigen Medikamentenausgabe. Die Behörden behandeln die beiden Krankheiten jedoch noch immer getrennt, weshalb jeder doppelt kommen muss. Ein One-Stop-Shop wäre hier wichtig und effizient. Leider zielen die aktuellen Aussagen wohl nicht auf Qualität, sondern allein auf Einschränkung der Kosten ab.

pressetext: Ist Kostenreduktion ohne Qualitätsverlust möglich?
Bauernfeind: Einsparpotenziale gibt es vor allem beim Medikamentenpreis. Es muss gewährleistet werden, dass ressourcenarme Länder Zugang zu leistbaren Medikamenten erhalten. Die Erfahrungen von Ärzte ohne Grenzen zeigen, dass Programme kostengünstiger geführt werden können, wenn sie dezentral organisiert sind und die Patienten und ihr Umfeld einbezogen sind.

pressetext: Vielen Dank für das Gespräch.

(Ende)
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