pte20050909005 in Business

Riess-Passer: Globalisierung als Chance sehen

EU-Erweiterung nur für den gut, der sich aus seine Stärken besinnt


Wien (pte005/09.09.2005/09:15) Die ehemalige Vizekanzlerin und aktuelle Wüstenrot-Chefin http://www.wuestenrot.at Susanne Riess-Passer (Bild) hat sich vor Wirtschaftsvertretern im Rahmen eines Vortrages vor dem Swedish Management Forum (eine Veranstaltung der Schwedischen Handelskammer http://www.schwedischehandelskammer.at ) kritisch zur Globalisierung und zur Erweiterung der EU geäußert. Die Erweiterung der Union sei eine Chance, die man nützen könne, so Riess-Passer, aber man müsse auch bereit sein, dafür etwas tun. pressetext hat die frühere Spitzenpolitikerin zum Exklusivinterview gebeten.

pressetext: Frau Dr. Riess-Passer, wie oft werden Sie denn noch als Frau Vizekanzler angesprochen?
Riess-Passer: Manchmal, es dürfte ein österreichisches Spezifikum sein, dass man einen Titel ein Leben lang behält. Ich hab auf Titel nie besonderen Wert gelegt, wenn schon, dann auf die, die ich mir durch mein Studium verdient habe.

pressetext: Haben Sie nach der totalen Politabstinenz Entzugserscheinungen?
Riess-Passer: Naja, es wäre jetzt schon gelogen, wenn ich nein sagen würde. Man schiebt nicht 17 Jahre einfach weg, die viel Herz und Engagement beinhaltet haben. Aber ich habe mir vorgenommen, mich aus der Politik herauszuhalten und das habe ich auch getan.

pressetext: Zu ihrer derzeitigen Tätigkeit als Wüstenrot-Chefin. Sind sie mit der Entwicklung seit Ihrem Antritt zufrieden?
Riess-Passer: Wir sind gut unterwegs. Heute ist jedes Unternehmen in der ständigen Herausforderung, sich verändern zu müssen. Unsere Fusion ist gut verlaufen. Alles kann man fast nie erreichen.

pressetext: Sie haben heute über Wirtschaft und Politik in einer globalisierten Welt referiert. Was ist es denn nun? Ohnmacht oder Chance?
Riess-Passer: Es ist eine Chance die mit vielen Mühen verbunden ist. Mit großen Herausforderungen und da und dort auch mit der Notwendigkeit, sich von liebgewordenen Traditionen zu verabschieden. Man sollte schnell und flexibel auf neue Entwicklungen reagieren aber es ist zu schaffen.

pressetext: Bei den diesjährigen Alpbacher Gesprächen hat der Präsident der Industriellen Vereinigung (IV) Veit Sorger gesagt, Österreich sei dank Ostöffnung und EU-Beitritt einer der Gewinner der Globalisierung, stimmen sie dem zu?
Riess-Passer: Ja, aber auch deswegen, weil Österreich sehr viel dafür getan hat. Die neuen Märkte in Osteuropa haben Österreich sicher viele Vorteile gebracht, aber es sind auch Risiken und Nachteile damit verbunden. Da darf man nicht nur die Sonnenseiten sehen. In Summe glaube ich, dass es der österreichischen Wirtschaft mehr Möglichkeiten eröffnet hat, die diese auch genutzt hat.

pressetext: Globalisierung und Wirtschaft muss man wohl immer auch im Kontext der EU-Erweiterung sehen. Beschneidet die EU die Nationalstaaten in ihren Möglichkeiten, sich gegen die Globalisierung zur Wehr zu setzen?
Riess-Passer: Ich glaube, dass sich die EU in viele Dinge einmischt, wo sie gar nichts verloren hat. In manchen Bereichen gibt es eine Regelungsnotwendigkeit, aber es gibt dann auch eine Regulierungswut, die oft über das Ziel hinausschießt. Dann behindert sie eher als sie nützt. Das ist eine Entwicklung, die sehr schwer revidierbar ist, weil irgendwann einmal der Trend eingetreten ist: je mehr man harmonisiert, desto besser ist es. Manchmal ist ein Unterschied auch ein Vorteil und es ist nicht alles unbedingt auf europäischer Ebene zu regeln.

pressetext: Kann man sich gegen die Globalisierung als Nationalstaat generell überhaupt wehren?
Riess-Passer: Man kann sie nicht verhindern, aber Auswirkungen mildern und Chancen ergreifen die sich ergeben. Und man sollte rechtzeitig Entwicklungen erkennen. In Wahrheit werden die am besten damit fertig, die rechtzeitig reagieren, es ist einfach eine Frage der Geschwindigkeit und des Reaktionszeitraumes, den eine Volkswirtschaft hat.

pressetext: WKO Präsident Christoph Leitl hat sich für die "humane Marktwirtschaft mit Konsenspolitik" ausgesprochen, ist das das große Gegenrezept?
Riess-Passer: Das kommt darauf an was man darunter versteht. Als Schlagwort klingt es recht gut. Wir haben negative Entwicklungen, keine Frage, aber die Chancen sind schon auch da, es muss eben jedes Land entscheiden, wo seine Stärken liegen. Man muss also seine Stärken stärken, sich überlegen, wo bin ich wettbewerbsfähig und das werden nicht mehr alle Bereiche sein.

pressetext: Das Problem würde aber durch einen möglichen EU-Beitritt der Türkei nicht kleiner.
Riess-Passer: Nein, und ich glaube auch nicht, dass die Türkei reif für einen Beitritt ist. Ich glaube dass es politisch richtig ist, die Türkei mehr an Europa zu binden, da gibt es ja viele Möglichkeiten, es sollte auch eine engere wirtschaftliche Zusammenarbeit mir der Türkei geben, aber ich glaube nicht, dass die EU und auch die Türkei eine Vollmitgliedschaft verkraften würden.

pressetext: Wen trifft die die Globalisierung stärker, den Mann oder die Frau?
Riess-Passer: Frauen haben nach wie vor einen schwierigeren Stand am Arbeitsmarkt, schon ob natürlicher Gegebenheiten, es ist eine Aufgabe der Volkswirtschaft, diese Unterschiede zu minimieren. Bei Wüstenrot gibt es gleichen Lohn für gleiche Arbeit. Es gibt Karrierechancen für Frauen und flexible Arbeitszeitmodelle. Solche Dinge sind Voraussetzungen, damit Frauen auf dem Arbeitsmarkt bestehen können.

pressetext: Nur etwa jeder zehnte Spitzenjob in Österreich wird von einer Frau bekleidet ...
Riess-Passer: ...aber immer mehr! Frauen mit solchen Jobs haben die Verantwortung, den Weg für andere dorthin zu ebnen.

pressetext: Betreiben Frauen genug Lobbying oder Networking?
Riess-Passer: Die die ich kenne schon, ich glaube, dass da ein ganz großes Bewusstsein da ist, man braucht sich nur die Brigitte Ederer anschauen.

pressetext: Was zeichnet denn eine erfolgreiche Frau aus, welche Charaktereigenschaften muss sie denn haben?
Riess-Passer: Gute Nerven, man darf nicht wehleidig sein. Jede Frau hat auf ihrem Weg in eine Spitzenposition die eine oder andere Kränkung erlebt. Das darf man nicht persönlich nehmen. Frauen müssen heute immer noch mehr beweisen als Männer.

pressetext: Erste Bank Chef Andreas Treichl sagt in der aktuellen Ausgabe des profil, er würde nie im Leben auf die Idee kommen, eine Frau für eine Position zu nehmen, weil sie eine Frau ist. Trifft das für sie auch zu?
Riess-Passer: Absolut. Ich halte nichts von Quotenregelungen. Das wertet Frauen ab, weil jede Frau in den Verdacht kommt, sie sei nur wegen der Quote da. Aber es muss Mechanismen geben die sicherstellen, dass die Frauen die gleichen Chancen haben. Ich versuche bei Wüstenrot auch Spitzenjobs für Frauen zu schaffen, die nur zu 50 Prozent arbeiten wollen. Das kann ja auch nur vorübergehend sein, bis die Kinder zum Beispiel groß sind. Sie sollen ja trotzdem Karriere machen dürfen.

pressetext: Lieben Sie Interviews ohne politische Fragen?
Riess-Passer: Sehr (lacht)

pressetext: Das war ein solches, danke für das Gespräch.

Fotos finden sie unter http://www.fotodienst.at/browse.mc?album_id=139

(Ende)
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