Österreichs Altenheime massiv unter Druck
Mattersberger von Lebenswelt Heim: "Bis 2030 fehlen rund 100.000 Personen in der Pflege"
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Markus Mattersberger vom Bundesverband Lebenswelt Heim (Foto: Wilke) |
Wien (pte029/15.04.2021/13:50)
Trotz Impfungen ist die Zahl der Todesfälle in Österreich im 1. Quartal dieses Jahres im Vergleich zum Vorjahr leicht gestiegen. Gemäß der Zahlen, die Statistik Austria https://www.statistik.at heute, Donnerstag veröffentlicht hat, sind von KW 1 bis KW 13 insgesamt 23.288 Österreicher verstorben, im gleichen Zeitraum 2020 waren es 22.792. Die Zahlen für die ersten Quartale der vergangenen fünf Jahre zeigen einen Höchststand im Jahr 2018. Q1 2019: 22.461, Q1 2018: 24.088, Q1 2017: 23.983 und Q1 2016: 20.766.
Die Zahl der Verstorbenen in Alten- und Pflegeheimen war im ersten Quartal mit 4.991 Menschen rückläufig. Im gleichen Zeitraum 2020 (KW 1 bis KW 13) weist die Statistik 5.755 Gestorbene aus, etwas mehr als 2019 mit 5.625 Todesfällen in den Altenheimen. Im Vorjahr stammten über 40 Prozent aller Corona-Todesfälle aus Alten- und Pflegeheimen. pressetext hat Markus Mattersberger, Präsident des Bundesverbandes Lebenswelt Heim https://www.lebensweltheim.at nach den Ursachen gefragt. Die Dachorganisation verbindet acht Landesorganisationen mit rund 650 Einrichtungen mit insgesamt rund 40.000 Mitarbeitern.
pressetext: Seit Einführung der Corona-Maßnahmen werden die Altenheime abgeschottet. Wie kommt das Corona-Virus in die Heime?
Mattersberger: Seit Anbeginn der Krise ist klar, dass hochaltrige und vulnerable Menschen zur vorrangigen Risikogruppe der COVID-19-Pandemie zählen. Nach der Ankündigung von Gesundheitsminister Anschober in der Pressekonferenz vom 13. März 2020, dass die Heime zu schließen sind, haben diese das großteils auch getan. Wie sich jedoch herausstellte, fußte diese Ansage von Anschober auf keiner rechtlichen Grundlage. Somit bekamen die EinrichtungsleiterInnen in vielen Klagen die Rechnung dafür präsentiert, von „Abschottung" war keine Rede mehr.
pressetext: Wie ist der Betrieb nach dem ersten Lockdown weiter gelaufen?
Mattersberger: Fakt ist, dass es vor allem drei Personengruppen gibt, welche die Einrichtungen frequentieren: Die MitarbeiterInnen werden seit September regelmäßig, aktuell alle drei Tage getestet; vor September 2020 bei Verdachtsfällen – dabei musste man allerdings teilweise tagelang auf die Testung warten, MitarbeiterInnen wurden jedenfalls für 10 bis 14 Tage abgesondert und die BesucherInnen können die Einrichtung nur mit Testung betreten, aktuell zweimal wöchentlich jeweils zwei Personen. Besucher in der Hospiz- und Palliative Care konnten immer in die Einrichtungen, bei BewohnerInnen mit entsprechendem Unterstützungsbedarf können zusätzliche Besucher in die Einrichtungen. Die BewohnerInnen können die Einrichtungen jederzeit verlassen und wieder zurückkehren! Dabei sind ihnen Testungen anzubieten, wenn sie diese nicht machen möchten, kann dies nicht erzwungen werden. Davon wurde auch umfassend Gebrauch gemacht und wurden BewohnerInnen abgeholt und wieder zurückgebracht.
pressetext: Wie kommt Corona in die Heime?
Mattersberger: Wir wissen, dass auch Tests keine absolute Sicherheit geben, so besteht bei asymptomatischem Verlauf nach wie vor das Risiko eines Eintrages in die Einrichtung. Daher werden MitarbeiterInnen alle drei Tage getestet, tragen per Verordnung bei körpernahen Tätigkeiten, in der Regel jedoch generell, Schutzkleidung, insb. FFP2. Gerade in der Hochphase der Infektionen November/Dezember 2020 hat man gesehen, dass das Infektionsgeschehen in der Einrichtung an jenes in der Gesellschaft gekoppelt war – hohe Infektionszahlen in der Gesellschaft bedeuten hohe Zahlen in der Einrichtung.
pressetext: Angesichts der hohen Zahl der Corona-Todesfälle in den Heimen stellt sich die Frage, ob die Heimmitarbeiter fahrlässig handeln.
Mattersberger: Wie oben ausgeführt, gehen nicht nur MitarbeiterInnen ein und aus, sondern auch BesucherInnen und BewohnerInnen. Dennoch wäre es auch unter Einhaltung sämtlicher Sicherheitsmaßnahmen illusorisch zu glauben, COVID-Einträge gänzlich verhindern zu können. Insbesondere bei asymptomatischen Verläufen ist die Gefahr sehr groß, dass es zu Einträgen kommt. Einmal in der Einrichtung ist eine Ausbreitung sehr schwer zu kontrollieren – lt. Studie der DUK leiden rund 85 Prozent der BewohnerInnen unter einer dementiellen Beeinträchtigung, sie über Hygiene zu informieren erfolgt zwar, bringt in vielen Fällen jedoch kaum Erfolg, zudem sind sie häufig sehr mobil. Die MitarbeiterInnen würden fahrlässig handeln, wenn sie sich nicht an Sicherheitsbestimmungen halten würden oder bei dem Bewusstsein, sich angesteckt zu haben, dennoch zur Arbeit gehen und mit BewohnerInnen in Kontakt treten würden. Ihnen Fahrlässigkeit zu unterstellen, wird den Leistungen nicht gerecht, die sie im Rahmen der Pandemie für die älteren Menschen und die Gesellschaft erbracht haben!
pressetext: Kann es sein, dass die Lebensumstände (wenig Frischluft, wenig Sonnenschein, verminderte soziale Kontakte) die Verbreitung des Virus begünstigt?
Mattersberger: Ich bin kein Mediziner und möchte daher nicht beurteilen, was die Verbreitung von Viren begünstigt. Was wir alle wissen ist, dass das Virus höchst ansteckend ist – und besonders für ältere Menschen sehr gefährlich sein kann. Daher auch der wiederholte Aufruf von ExpertInnen, die Pflegeheime und mit ihnen die BewohnerInnen besonders zu schützen! Dahingehende Maßnahmen waren sehr überschaubar und Führungskräfte der Pflegeeinrichtungen fühlten sich in der Bewältigung der Krise durch die Behörden in vielen Fällen alleine gelassen. Verminderte Kontakte – ja, das hatten die BewohnerInnen sehr wohl, sie waren aber zu keiner Zeit alleine. Ich frage mich, wie es da wohl vielen älteren Menschen ergangen ist, die tatsächlich alleine zuhause in der eigenen Wohnung die Pandemie verbracht haben? Sollten Sie Interesse an einem realen Bild von Pflegeeinrichtungen haben, lade ich Sie sehr gerne zu einem Besuch in einer Einrichtung ein.
pressetext: Was muss geschehen, damit die Corona-bedingten Todesfälle in den Altenheimen sinken?
Mattersberger: Durch die hohe Durchimpfungsrate in den Pflegeheimen sind die Infektionsraten in den Pflegeheime – im Gegensatz zu der in der Gesellschaft – bereits massiv gesunken. Aktuell gibt es nur mehr sehr vereinzelte Cluster mit milden Verläufen, allerdings wissen wir noch nicht, wie sich die Mutanten hinsichtlich der Impfungen auswirken.
pressetext: Was müsste bei zukünftigen Epidemien getan werden, um solche Entwicklungen zu vermeiden?
Mattersberger: Wir müssen die Heime wirklich schützen, diese nicht alleine lassen und unsere Struktur der Langzeitpflege verbessern! Bereits jetzt fehlt Personal am Markt – alleine bis 2030 - also in neun Jahren! - fehlen rund 100.000 Personen in der Pflege; wollen wir die Situationen verbessern können wir von rund 125.000 ausgehen! Schon jetzt ist Österreich bei Arbeitskräften in der Langzeitpflege (mobil und stationär) unter dem OECD-Schnitt und das als eines der reichsten Länder der Welt! Wir können aber nicht beliebig viele MitarbeiterInnen aufnehmen, denn die Tarife für Pflegeheime geben die Länder vor – ich kann nur so viel Personal einstellen, wie ich mir leisten kann! Die vielzitierte Erzählung von den großen Konzernen entspringt der Situation in Deutschland und Frankreich – im Gegensatz zu Österreich gibt es dort tatsächlich zahlreiche große gewinnorientierte Konzerne. Letztlich geht es um die Verteilung der Ressourcen – und da bringen negative Berichte über Pflegeheime, die häufig einer ernsthaften Recherche nicht standhalten, diese zusätzlich unter Druck.
pressetext: Danke für das Gespräch!
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