pte20120825001 in Leben

Pädagoge: Schule ist Aufgabe aller

Buch fordert mehr Teilhabe und sachlichere Bildungsdebatte


Erwin Rauscher: Schule weitaus besser als ihr Ruf (Foto: PH NÖ)
Erwin Rauscher: Schule weitaus besser als ihr Ruf (Foto: PH NÖ)

Wien/Baden (pte001/25.08.2012/06:00) Eigenverantwortliche Schüler, mutige Lehrer und Dialog mit den Eltern: Das braucht die Schule, nicht Besserwisserei von außen, fordert Erwin Rauscher, Rektor der Pädagogischen Hochschule Niederösterreich http://www.ph-noe.ac.at , im Buch "Schule sind WIR - Bessermachen statt Schlechtreden" (Residenz Verlag, http://bit.ly/MRivCn ). Im Interview mit pressetext legt der Pädagoge Ansätze dar, wie sich Schule zum "mitverantworteten Lebenslernraum" entwickeln soll.

pressetext: Herr Rauscher, Ihr Buch ist ein Plädoyer für mehr Sachlichkeit in der Diskussion über die Schule. Was läuft derzeit schief?
Rauscher: Diskussion über Strukturen und System ist für Reformen nötig, greift aber meist zu kurz: Nostalgisch erzählen Menschen von "ihrer" Schule, sprechen positiv von "ihren" Lehrkräften. Dennoch verfallen sie parallel in die gängige Allgemeinkritik, verbunden mit anonymisiertem Teacher-Bashing. Die Schulen vor Ort arbeiten jedoch heute ungleich besser und vielgestaltiger als PISA-Befunde oder sogenannte Experten sie darstellen.

pressetext: Welche Form der Kritik meinen Sie konkret?
Rauscher: Die undifferenzierte Schulkritik jener, die in den Medien mit einer Fülle von Klischees dauerpräsent sind. Sie lästern über die Schule von gestern, ohne jene von heute ausreichend zu kennen. Warum meldet sich zum Physik- oder Chemieunterricht kaum ein prominenter Außenstehender zu Wort? In der Pädagogik tun es viele, ähnlich wie jeder glaubt, Trainer des Fußball-Nationalteams sein zu können. Die Diskussion darf nicht stets polarisieren, sondern muss der pluralen Realität entsprechen, für welche das Nietzsche-Wort gilt: "Einer hat immer unrecht, aber mit Zweien beginnt die Wahrheit."

pressetext: Wer sollte sich dann mehr einbringen, wenn Sie "Schule sind WIR" titeln?
Rauscher: Alle sind angesprochen: Jeder Mensch geht in die Schule und wird von ihr mitgeprägt, sein Leben lang. Ebenso sind wir alle mitverantwortlich an einer Schule, die nicht von Gegenüber und Konfrontation geprägt ist, sondern von Begegnung und Teilhabe. Erst hier wird das im Menschen Vorhandene optimal entfaltet.

pressetext: Warum betonen Sie die Mitverantwortung und Mitgestaltung so sehr?
Rauscher: Weil sich junge Menschen dann am besten entwickeln, wenn sie Vertrauen und Wertschätzung erfahren. Je mehr Eigenverantwortung man Schülern gibt, umso kreativer, innovativer und neugieriger sind sie, und sehr wahrscheinlich umso motivierter, die mit Bildung verbundenen Mühen auch auf sich zu nehmen. Mitsprache lernt man aus Mitverantwortung, nicht aus Zuteilen und Einfordern.

pressetext: Wie kann Schule das bieten?
Rauscher: Vor allem durch Subsidiarität: Je eher Betroffene selbst entscheiden statt externe Obrigkeiten, desto stärker identifizieren sie sich damit und den Folgen. Dürfen etwa Schüler den Termin einer Klassenarbeit im vorgegebenen Rahmen selbst festsetzen, werden an diesem Tag weniger schwänzen. Mitverantwortung heißt aber genauso Verantwortung für andere, etwa wenn Leistungsstärkere ihren Mitschülern die Hausaufgabe erklären oder im Unterricht selbst helfen. Man ringt um Formen des sozialen Lernens, doch dort wo es stattfindet, zählt es leider noch kaum zur Leistungsbeurteilung.

pressetext: Sie wehren sich im Buch gegen die Gesamtschule. Wo Sie schon eingangs die plurale Realität angesprochen haben: Warum sollte die gemeinsame Schule nicht die passende Antwort darauf sein?
Rauscher: Ich wehre mich gegen die sich seit Jahren wiederholende, ideologische und polarisierende Diskussion! Aus richtigen Analysen - etwa dass sich Migrantenkinder an Hauptschulen weniger gut entwickeln als an Gymnasien - zieht man falsche Schlüsse und fordert ideenlos eine gemeinsame Sekundarstufe I. Statt um Gleichheit sollten wir uns jedoch um Gleichwertigkeit variabler Wege bemühen, die etwa stärker auf Studierfähigkeit oder auf Berufsfähigkeit abzielen. Ist die Ausrichtung unterschiedlich, kann das Niveau gleich oder vergleichbar hoch sein. Vom Verständnis einer "höheren" und deshalb besseren Schule müssen wir wegkommen: Ein Abiturient zählt nicht mehr als ein Lehrling, beide haben wichtige Aufgaben.

pressetext: Also unterschiedliche Ausbildungsformen beibehalten, doch deren Bedeutung ändern. Wie soll das gehen?
Rauscher: Werden verhaltensauffällige und auch beeinträchtigte Kinder oder jene ohne deutsche Mutter- bzw. Umgangssprache nicht mehr abgeschoben in "niedrigere" Schultypen, dann werden sich Lehrer selbst um die Bewältigung der Schwierigkeiten bemühen. Das zeigen auch internationale Studien eindeutig.

pressetext: Inwiefern verliefe der Unterricht anders?
Rauscher: Eine professionelle Pflicht, Schüler mitverantwortlich zu fördern und bei Verschlechterung der Leistung rasch und individuell zu reagieren, garantiert besseren Lernerfolg. Je stärker Schüler strukturell und personell unterstützt und gefördert werden, umso mehr werden sie auch wollen, was sie sollen. Lernen braucht Zuwendung, nicht nur Gedächtnispsychologie: Zutrauen und Wertschätzung beflügeln auch das Leistungsvermögen.

pressetext: Mitverantwortung fordern Sie auch von den Eltern ein, die statt "Feuerwehr" lieber "Gärtner" sein sollten. Welche Rolle haben sie in der Bildung?
Rauscher: Schule kann und will die Verantwortung von Eltern für das Gelingen des Lebens junger Menschen nur ergänzen, bestärken und bereichern, doch nie ersetzen. Mit Eltern nur dann zu kommunizieren, wenn es "brennt", ist falsches Reparaturdenken. Die Schule muss Gelegenheiten demokratischer Teilhabe schaffen - durch Dialog über Leistung, Feedback, Verhaltensvereinbarungen und Zukunftswerkstätten zu vielfältigen Erziehungsfragen. Je ernster sie Vorschläge der Eltern nimmt, desto eher sind diese zur Mitarbeit bereit.

pressetext: Danke für das Gespräch!

(Ende)
Aussender: pressetext.redaktion
Ansprechpartner: Johannes Pernsteiner
Tel.: +43-1-81140-306
E-Mail: pernsteiner@pressetext.com
Website: www.pressetext.com
|