pts20091014015 Politik/Recht, Medien/Kommunikation

"Neue Gesetzeslage wird sich positiv auf die Organspende auswirken"

IHCI-Leiter Prof. Dr. Goldschmidt referiert auf "vorjurlife" über Patientenrecht


Trier/Wiesbaden/Darmstadt (pts015/14.10.2009/10:00) Seit 1. September 2009 ist das Gesetz zur Patientenverfügung in Kraft. Auf dem Bundeskongress "vorjurlife" (mehr Infos: http://www.vorjurlife.de) am 27./28.11. in Darmstadt diskutieren führende Experten über die Auswirkungen, die dieses Gesetz zur Folge hat und erarbeiten Lösungen und Abläufe für alle am Prozess der Patientenverfügung (wie auch anderer Vorsorgeverfügungen) beteiligten Parteien. Zu diesen zählen u. a. Patienten/Angehörige/Betreuer, Ärzte/Kliniken, Juristen/Notare, Krankenkassen/Versicherungen, Altenpflegeheime/Hospizeinrichtungen, Politik und Interessensverbände sowie Kirchen. Im Vorfeld des Kongresses erhalten Experten das Wort, die sich seit Jahren mit diesem Thema beschäftigt haben und die sich jetzt aktiv mit Lösungsvorschlägen für eine praktikable Umsetzung des Patientenwillens engagieren. Im "vorjurlife"-Expertenforum steht in dieser Woche Univ.-Prof. Dr. Andreas J. W. Goldschmidt Rede und Antwort. Prof. Goldschmidt war 1998-2001 Hochschullehrer und Mitglied der Ethikkommission der Universitätskliniken in Bonn und ist seit 2003 Lehrstuhlinhaber für Gesundheitsmanagement und -logistik an der Universität Trier. Er ist geschäftsführender Leiter des IHCI (Internationales Health Care Management Institut) sowie Vorstandsvorsitzender des Zentrums für Gesundheitsökonomie (ZfG). Der renommierte Gesundheitsökonom hält am 27.11. auf dem Bundeskongress "vorjurlife" den mit Spannung erwarteten Vortrag "Patientenrechte und Patientenverfügung - historische Hintergründe und Entwicklungen bis heute am Beispiel der Organspende".

Herr Prof. Goldschmidt, am 01.09.2009 ist das neue Gesetz zur Selbstbestimmung des Menschen durch schriftliche aber auch mündliche Patientenverfügungen in Kraft getreten. Welche Auswirkungen erwarten Sie für Ärzte/Kliniken aber auch für Patienten/Angehörige sowie Betreuer und Gerichte?

Ich erwarte von dieser grundsätzlich positiv einzuschätzenden neuen Situation, dass sie durch die gegebene Rechtssicherheit mehr Aufmerksamkeit und Inanspruchnahme durch alle Bürger findet - vor allem mit den Beteiligten von Gesundheitseinrichtungen. Dies wird nicht von heute auf morgen geschehen, aber durch Aufklärung und Nutzung aller Medien sowie von Kongressen und Informationsveranstaltungen wird es peu à peu immer besser gelingen.

Ihr Vortrag am 27. November auf dem Bundeskongress "vorjurlife" hat den Titel: "Patientenrechte und Patientenverfügung - historische Hintergründe und Entwicklungen bis heute am Beispiel der Organspende". Erwarten Sie durch die gesetzliche Regelung des Patientenwillens jetzt positive Auswirkungen auf die Spendenbereitschaft der Deutschen - oder eher das Gegenteil?

In Ihrer Frage steckt ja schon eine berechtigte Skepsis. Diese hängt mit der immer noch viel zu niedrigen Spendebereitschaft in Deutschland zusammen. Im Jahr 2007 haben insgesamt 1.313 Menschen nach ihrem Tod 4.139 Organe gespendet. Aber rund 12.000 Menschen warten auf Organe. Aber ich bin optimistisch, dass sich die neue Gesetzeslage auch positiv auf die Spendenbereitschaft auswirken wird, da jetzt zumindest mehr Klarheit für alle Beteiligten besteht.

Im europäischen Vergleich belegt Deutschland bei Organspenden einen der letzten Plätze. Was sind hier die Ursachen? Liegen diese ausschließlich in der erweiterten Zustimmungslösung (Regelung in Deutschland), wonach zu Lebzeiten eine Einwilligung zur Organspende vorliegen muss, im Gegensatz etwa zur Widerspruchsregelung, wie sie in Österreich und Belgien gilt?

Zum Einen ist dies die sogenannte erweiterte Zustimmungslösung, wonach zu Lebzeiten eine Einwilligung zur Organspende vorliegen muss, im Gegensatz etwa zur Widerspruchsregelung wie sie in Belgien und Österreich gilt. Zum Anderen hängt dies aber auch mit unserer langjährigen Kultur, einer mangelnden Spendebereitschaft, wie auch mit unseren Abläufen vor allen Dingen in den Krankenhäusern zusammen bis es dann letztlich zu einer Organspende kommt.

Was besagt die Widerspruchsregelung und - ist es sinnvoll, diese auch in Deutschland einzuführen?

Die Widerspruchsregelung besagt, dass Organe dann entnommen werden dürfen, wenn der Verstorbene zu Lebzeiten nicht ausdrücklich widersprochen hat. Bei der sogenannten erweiterten Widerspruchsregelung haben die Angehörigen ein Vetorecht. Solch eine Regelung gibt es unter anderem in Österreich und Spanien. Die Zustimmungsregelung in Deutschland bedeutet, nur wer zu Lebzeiten ausdrücklich zugestimmt hat, ist potentieller Organspender und hat in der Regel auch einen entsprechenden Organspendeausweis. In Deutschland gilt die sogenannte erweiterte Zustimmungsregelung. Das heißt, die Angehörigen können nach dem mutmaßlichem Willen des Verstorbenen entscheiden, wenn sich dieser nicht selbst geäußert hat.

Sollte die Bereitschaft zur Organspende integraler Bestandteil einer Patientenverfügung werden?

Meines Erachtens wird die jetzige neue Gesetzeslage einen positiven Einfluss auf die Bereitschaft zur Organspende haben. Ich glaube nämlich, dass mit der Zunahme von Patientenverfügungen die Verknüpfung mit einem Organspendeausweis ein logischer Schritt sein müsste und auch für viele sein wird, wenn sie entsprechend aufgeklärt sind. Es verpflichtend mit einer Patientenverfügung zu verknüpfen ginge vielleicht zu weit.

Innerhalb von Deutschland verzeichnet das Bundesland Hessen das geringste Spendenaufkommen. Woran liegt das nach Ihrer Meinung?

Zum Einen muss man feststellen, dass die Schwankungen auch innerhalb eines Bundeslandes von Jahr zu Jahr recht groß sind. So lag zum Beispiel die Quote der Organspender im benachbarten Bundesland Rheinland-Pfalz bei 17,5 pro 1 Million Einwohner aber leider schon nur 2 Jahre später bei etwa 11. Während Rheinland-Pfalz häufig über dem Bundesdurchschnitt liegt, liegen die Länder Bayern, Baden Württemberg, Hessen und Nordrhein-Westfalen meist darunter. Der Bundesdurchschnitt lag 2006 bei 15,3. Bei diesem Nord-, Ost-, Mitte-, Süd-Gefälle und dem damit korrespondierend ansteigenden Anteil frei-gemeinnütziger Gesundheitseinrichtungen nebst dem immer noch starken Einfluss der katholischen Kirche spekulieren natürlich einige darüber, ob wir katholisch Aufgewachsenen hier besonders vorsichtig und ängstlich sind. Das glaube ich allerdings nicht. Vielmehr vermute ich, dass die Prozesse in unseren Krankenhäusern dort - aber auch in ganz Deutschland - hinsichtlich des Themas Organspende noch nicht optimal sind. Meines Erachtens ist dies sogar gewichtiger, als der meist noch fehlende Organspendeausweis.

Was muss/kann getan werden, um die Bereitschaft zur Organspende in Deutschland nachhaltig zu beflügeln?

Ich erwähnte ja schon, dass Informationen, Dialog und Aufklärung essenziell sind. Hier müssen wir noch mehr tun, noch viel mehr. So wie wir für Krankenhäuser und andere Gesundheitseinrichtungen heute gut funktionierende Prozesse für die Krankenversorgung verwenden, so sollten wir dies auch für Prozesse zu Gunsten der Organspende tun.

Derzeit wird viel diskutiert, was die Beratung einer Patientenverfügung kosten sollte und wer prädestiniert ist, diese durchzuführen. Sollte es auch eine entsprechende Beratung beim Thema Organspende geben und wenn ja, wer sollte diese vornehmen und was darf diese kosten?

In Rheinland-Pfalz gibt es im Gegensatz zu Hessen Patientenfürsprecher sozusagen von Staatswegen, die auch regelmäßig ausgebildet und vom Land bezahlt werden. Dies halte ich für eine optimale Lösung.

Der Patientenwille ist gesetzlich geregelt. Der Arzt, die Klinik muss umsetzen, was der Patient bzw. sein Betreuer verfügt hat. Wo sehen Sie Konfliktpotentiale und die Grenzen zur aktiven Sterbehilfe?

Im Akutfall, also wenn es um lebensbedrohende Zustände eines Patienten geht, sowie um die Entscheidung, ob ein Organ entnommen werden kann bzw. darf oder nicht, hat ein Arzt/eine Ärztin immer einen inneren Konflikt mit sich selbst auszutragen bzw. steht alleine, wenn die vom Patienten getroffenen Entscheidungen nicht seinen ethischen, hohen Ansprüchen und fachlichen Erkenntnissen entsprechen. Aktive Sterbehilfe ist bei uns verboten und sollte es auch bleiben, diese Grenze darf von keinem Arzt jemals überschritten werden.

Welche Rollen sollten Krankenkassen und ggf. auch Apotheken bei der Beratung von Patientenverfügungen und Organspende einnehmen? Sollten Verfügungen und Organspendeausweise in allen Apotheken ausliegen - und der Apotheker gleich die entsprechende Beratung liefern?

Grundsätzlich stehe ich auf dem Standpunkt, dass jemand, der etwas kann, das auch tun darf und sollte. Im vorliegenden Fall ist es also auch aus meiner Sicht durchaus denkbar, dass Krankenkassen und Apotheken unterstützend im Hinblick auf Patientenverfügung und Organspendeausweis beraten dürfen. Allerdings ersetzt dies nicht das Gespräch mit dem Arzt oder der Ärztin. Weil auch die rechtlichen Dinge für viele nicht immer leicht verständlich sind, könnte es sogar sein, dass in dem einen oder anderen Fall ein Rechtsanwalt bzw. Notar nützliche Tipps geben kann.

Der Bundeskongress "vorjurlife" deckt das gesamte Spektrum der "immateriellen Vorsorgeregelungen" erstmals thematisch ab. Welche Ergebnisse oder Impulse erwarten Sie sich von diesem Kongress für Ärzte, Patienten, aber auch für die Rechtsberatung?

Ich begrüße den Bundeskongress "vorjurlife", vor allem wegen der außerordentlich breiten thematischen Aufstellung. Er wird zur weiteren Aufklärung der aktuellen Rechtslage beitragen sowie dazu, dass uns einmal mehr bewusst wird, wie notwendig Patientenverfügungen und Organspendeausweise sind. Nicht zuletzt wird es für viele Ärzte und Rechtsanwälte weitere Klarheit bringen.

Haben Sie selbst eine Patientenverfügung und einen Organspendeausweis - und wenn ja, seit wann und was hat Sie veranlasst diese für sich zu erstellen?

Meine erste, sehr einfach gehaltene Patientenverfügung habe ich schon vor über 20 Jahren eigenhändig erstellt und meinen Organspendeausweis trage ich seit etwa 5 Jahren bei mir. Erstmals intensiv nachgedacht habe ich über die Patientenverfügung im Zusammenhang mit meiner Erfahrung während des Medizinstudiums auf einer Intensivstation, auf einer Station für Querschnittsgelähmte sowie während meiner Nachtdienste als Student in der Dermatoonkologie. Da meine Frau selbst Ärztin ist, bin ich in der glücklichen Lage, dass ich im Falle einer lebensbedrohlichen Situation oder meines Todes auf ihr ethisch hochwertiges und fachlich gut begründetes Wissen vertrauen kann.

Wie wichtig wäre ein Zentralregister für Patientenverfügungen und Organspendeausweise in Deutschland?

Wenn die datenschutzrechtlichen Kriterien - ähnlich wie es bei der geplanten elektronischen Gesundheitskarte der Fall sein wird - erfüllt sind, spricht viel mehr für als gegen ein Zentralregister. Es gibt ja bereits ein zentrales Vorsorgeregister der Bundesnotarkammer, wo man eine Vorsorgevollmacht hinterlegen lassen oder hinterlegen kann. Dafür fallen in der Regel Kosten zwischen 13 Euro und 16 Euro an und in der Konsequenz kann zum Beispiel ein Vormundschaftsgericht in einem entsprechenden Ernstfall sehr schnell informieren. Für jedwede Patientenverfügung und Organspendebereitschaft wäre daher ein zentrales Register von großem Nutzen für Patienten, Gerichte und Krankenhäuser bzw. Gesundheitseinrichtungen.

Sollte jeder Bundesbürger eine Art "Notfallkarte" bei sich haben auf der vermerkt ist, ob er eine Patientenverfügung hat und Organspender ist und wo diese Dokumente aufbewahrt werden?

Aus medizinischer Sicht und aus Sicht aller Prozesse im Krankenhaus und bei der Organspende ist eine Art Notfallkarte natürlich wünschenswert. Idealerweise würden Notfall- und Patientenverfügungsinhalte in die geplante elektronische Gesundheitskarte integriert, wie dies ja jetzt schon einerseits für bestimmte Daten im verpflichtenden, für andere im sogenannten freiwilligen Teil dieser Karte möglich sein wird. Über die elektronische Gesundheitskarte und die Arztkarte kann dann auf diese Dokumente zugegriffen werden, idealer Weise natürlich per abgesichertem Link aus einem zentralen Register heraus bzw. aus den dort, nach Genehmigung des Patienten, gesammelten Informationen in einer sogenannten lebenslänglichen Gesundheitsakte. Im Gegensatz dazu haben wir ja heute in den Krankenhäusern und bei den niedergelassenen Vertragsärzten nur Episoden der jeweiligen Krankengeschichte.

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