pte20090912008 in Leben

Amoklaufberichte Winnenden: Presserat rügt Medien

Berichterstattung darf nicht zu weiteren Opfern führen


Massenmedien bei Amoklauf-Berichterstattung in der Pflicht (Foto: aboutpixel.de, Arnim Schindler)
Massenmedien bei Amoklauf-Berichterstattung in der Pflicht (Foto: aboutpixel.de, Arnim Schindler)

Berlin (pte008/12.09.2009/13:40) Der Berichterstattung über den Amoklauf von Winnenden ist eine ganze Reihe von Beschwerden an den Deutschen Presserat http://www.presserat.info gefolgt. Dieser hat in insgesamt 47 Verfahren reagiert und die entsprechenden Medien abgemahnt. Dabei war die Institution dem Grundsatz gefolgt, dass bei Berichten über einen Amoklauf der Opferschutz im Vordergrund stehen muss. "Medienberichte dürfen nicht zu weiteren Opfern führen", so Rüdiger Wulf, Kriminologe und Viktimologe der Universität Tübingen. Der Presserat hatte mitunter die Nennung von Opfernamen, eine heroisierende Darstellung des Täters und die fiktive Nachstellung der Tat mit grafischen Mitteln gerügt.

"Der Opferschutz wurde in einigen Fällen ausreichend beachtet, in anderen war er hingegen eindeutig unzureichend", erklärt Presserat-Sprecherin Ella Wassink auf Nachfrage von pressetext. So sei etwa die Heroisierung des Täters tabu und "der beinahe comicartig nachgespielte Hergang der Tat geht zu weit", meint Wassink. Ebenso überschreite die Darstellung eines Menschen beim Selbstmord die Zulässigkeit, wie in einem Video auf den Online-Seiten einer Tageszeitung der Fall. Es hatte gezeigt, wie sich der Täter selbst richtete und wurde auch im Fernsehen ausgestrahlt. "Eine derartige Berichterstattung ist unangemessen sensationell und nicht mehr mit dem Argument vertretbar, im Interesse der Öffentlichkeit zu erfolgen", betont Wassink.

Der Presserat verfügt in solchen Fällen über das härteste Sanktionsmittel der öffentlichen Rüge, die von den beanstandeten Medien veröffentlicht werden muss. Die Institution wird zwar ausschließlich infolge von Beschwerden aktiv. Rund 95 Prozent der deutschen Verlagshäuser und Medien haben sich jedoch zur freiwilligen Selbstkontrolle verpflichtet. "Im Internet sind bedenkliche Inhalte immer zu finden. Das muss aber nicht unbedingt auf den Portalen von publikumsstarken Zeitungen und Zeitschriften geschehen", gibt Wassink im pressetext-Gespräch zu bedenken. Massenmedien tragen in der Art ihrer Berichterstattung ein hohes Maß an Verantwortung.

Wie der Presserat betont, besteht bei der Berichterstattung über Gewaltakte wie Amokläufe ein Spannungsverhältnis zwischen dem begründeten öffentlichen Interesse und dem Interesse von Angehörigen "in ihrer nicht austauschbaren Rolle als authentische Quellen für eine verlässliche Berichterstattung". Dadurch stehen die berichtenden Journalisten in der Verantwortung. Schließlich könne eine gewisse Form der Berichterstattung mögliche Nachahmungstäter bestärken. Der Grat zwischen der Wahrnehmung des öffentlichen Auftrags der Medien und presseethischen Grenzverletzungen sei schmal. "Nicht den Täter und seine Motive in den Vordergrund rücken, sondern die Tat, keine Klischees fördern, keine Bilder vom Täter zeigen und keine Namen nennen", empfiehlt Herbert Scheithauer, Entwicklungspsychologe und Wirkungsforscher an der Freien Universität Berlin.

(Ende)
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