Globalisierung verändert die Musik
Musikethnologe: "Verstehen fremder Musik braucht intensives Auseinandersetzen"
![]() |
Klavierspielen ist in Japan Statussymbol (Foto: pixelio.de/Schütz) |
Potsdam/Würzburg (pte023/13.07.2009/12:40) Kulturelle Musikstile vermischen sich durch Medien und Prozesse der Globalisierung immer schneller, was auch die Vermittlung von Musik neu herausfordert. Diesem Thema widmete sich die Tagung "Musikalische Praxen in interkulturellen Kontexten", die von der internationalen Arbeitsgruppe Musikpädagogik und Musikethnologie (AMMe) an der Universität Potsdam veranstaltet wurde.
Sonntagsredner bezeichnen Musik oft als universelle Sprache. "Dass trifft jedoch nur bedingt zu", betont Bernd Clausen, AMMe-Sprecher und Leiter der Bundesfachgruppe Musikpädagogik http://www.bfg-musikpaedagogik.de im pressetext-Interview. Es stimme zwar, dass Musik emotional jeden anspreche, ob nun im positiven oder negativen Sinn. "Vergleichbar mit Schrift oder Grammatik hat jedoch auch Musik zahlreiche Komponenten, die von anderen Kulturen kaum verstanden werden." Die Unterteilung der Töne innerhalb der Oktave, die Notenschrift oder auch die Musikformen seien in verschiedenen Kulturen oft anders ausgeprägt. Als Beispiel nennt der Musikethnologe die Baglama, die in der türkischen Musik verwendeten Laute. "Nach unseren wohltemperierten Maßstäben ist dieses Instrument verstimmt, da es andere Tonschritte wie etwa eine vergrößerte Terz besitzt." Um hier Objektivität zu schaffen, misst die Musikethnologie Tonschritte nach ihren Schwingungen.
Als für das mitteleuropäische Musikgehör "besonders konträr" bezeichnet Clausen das Tonsystem der indonesischen Musik, gewöhnungsbedürftig seien für viele auch koreanischer Gesang sowie der Falsett-Gesang der chinesischen Oper. Verstehen könne man fremde Musiktraditionen, von denen man sich angesprochen fühlt, am ehesten durch intensive Auseinandersetzung. "Es geht darum, nach der ersten Neugier näher hinzuhorchen, Clips auf Youtube anzusehen oder Konzerte zu besuchen." Die Durchmischung der Musik verschiedener Kulturen, die bereits seit Jahrhunderten im Gang ist, sei durch die von Globalisierung und medialer Verfügbarkeit geschaffenen Möglichkeiten beschleunigt worden. "Allerorts gibt es eine große Hinwendung zu Stilen und Instrumenten verschiedener Kulturen, die als ,crossover' oder ,fusion' bezeichnet wird. Der Umkehrschluss, dass damit nationale Traditionen zu Fall kommen, stimmt jedoch nicht", so der Musikethnologe.
Die Bedeutung eines übertragenen Musikstils ändert sich mit dem Kontext. Ungewöhnliche Zugänge zu klassischer Musik beobachtete Clausen etwa auf Feldforschungen in Japan. "Klassik ist in Japan eng mit sozialem Status verbunden. Anfang des 20. Jahrhunderts hat in gehobenen Familien das Klavier die traditionelle Koto als Hausinstrument verdrängt, die japanische Oper wurde gegründet und viele Japaner waren an deutschen Musikhochschulen matrikuliert." Auch heute dominiert westliche Musik noch vier Fünftel der Lehrpläne Japans, der Rest entfällt auf eigene Musiktraditionen, wenngleich nationale Kulturgesetze das Japanische in der Musik fördern wollen. Zu beobachten sei hier wie auch in vielen anderen Teilen der Welt ein Prozess, den die Ethnologie mit dem Neologismus "Glokalisierung" bezeichnet. "Globales sucht man vor Ort, woraus ein sinnvolles Neues ensteht."
In den deutschen Schulen wirkt sich diese Internationalität durchaus unterschiedlich aus, wobei Clausen ein Nord-Süd-Gefälle beobachtet. "In Bayern kommen außereuropäische Musikkulturen seltener im Unterricht vor als in nördlichen Bundesländern, wobei es jedoch meist auf das jeweilige Interesse des Lehrers ankommt." Zunehmende Bedeutung falle der Musik der Migrantenkulturen zu. "Afrikanische, türkische oder lateinamerikanische Musik ist im Trend, während asiatische Musik eher ein Randthema ist", so der Musikethnologe und -pädagoge gegenüber pressetext.
(Ende)Aussender: | pressetext.deutschland |
Ansprechpartner: | Johannes Pernsteiner |
Tel.: | +43-1-81140-316 |
E-Mail: | pernsteiner@pressetext.com |