pte20070526011 in Business

Wirtschaftstrainer Harramach: "Weiterbildungsquote ist unser Stiefkind"

Aus- und Weiterbildung: Internationalisierungsdruck steigt


Niki Harramach: Trainingsmarkt bleibt überfüllt (Foto: harramach.com)
Niki Harramach: Trainingsmarkt bleibt überfüllt (Foto: harramach.com)

Wien (pte011/26.05.2007/13:45) Niki Harramach ist Sprecher der Wirtschaftstrainer in der Wirtschaftskammer Österreich http://www.wirtschaftstrainer.info und Geschäftsführer des Wirtschaftstrainerinstituts Harramach & Partner http://www.harramach.com . Im pressetext-Interview spricht er über die aktuelle Situation am österreichischen Trainingsmarkt. Darüber hinaus erläutert er Probleme im Bereich IT-Training sowie den starken Einfluss von Zentral- und Osteuropa auf den heimischen Aus- und Weiterbildungsmarkt.

pressetext: Sie sagten schon 2003, dass der österreichische Trainingsmarkt hoffnungslos überfüllt und heißt umkämpft sei. Wie ist die Situation heute?
Harramach: Noch schlechter. Hoffnungslos war es schon damals, heute ist er noch mehr überschwemmt. Wir haben ein paar Tausend Anbieter, niemand weiß mehr, wo die tatsächliche Ziffer liegt. Der Markt würde mit einem Zehntel gut bedient sein und absolut auskommen. Aus- und Weiterbildung ist kein unsensibler Sektor. Ich bin immer ein Kämpfer dafür gewesen, dass es gesetzliche Regelungen für den Trainingsmarkt geben muss. Wir sind in Österreich auch froh, dass wir ein strenges Lebensmittelrecht haben. Bei der Bildung geht es um Psyche, es ist nicht so, dass man sagt, das regelt der Markt. Es sind schon Schäden eingetreten, wenn jemand nicht mehr engagiert wird und diese sind dann nicht leicht wieder gut zu machen. Macht ein Unternehmer mit seinen acht Mitarbeitern endlich ein Kommunikationstraining und dies verläuft nicht erfolgreich, findet dort in den nächsten vier, fünf Jahren keine Weiterbildung mehr statt. Bildung ist ein Gut, dass nicht jeder machen darf. Allerdings merke ich, dass sich jetzt eine Trendwende abzeichnen könnte. Man beschäftigt sich mehr mit Bildung, man erkennt, sie ist ein kostbares Gut.

pressetext: Sie sprechen damit die Intransparenz des Marktes durch zu viele Anbieter an. Im Fachverband für Unternehmensberatung und Informationstechnologie der Wirtschaftskammer gibt es das Kundenzertifizierungsverfahren, das ein Instrument dagegen sein soll. Wie ist das Bewusstsein der Kunden gegenüber akkreditierten TrainerInnen und anderen Anbietern am Markt?
Harramach: Noch nicht gut genug. Wir müssen unsere Homepage, auf der auch alle akkreditierten Wirtschaftstrainer stehen, noch mehr bewerben. Auch das Verfahren ist noch zu wenig bekannt. Unser Zertifizierungsverfahren ist eines durch Kunden, nicht durch einen Tüv, eine Ö-Norm oder durch die Wirtschaftskammer. Sagen die Kunden, dass die Leistung in mindestens sechs Projekten überdurchschnittlich gut war, erhält der Trainer für drei Jahre die Auszeichnung "Akkreditierter Wirtschaftstrainer" oder "Customer certified trainer". Danach muss er sie erneuern. Die Kunden sprechen das Urteil.

pressetext: Inwiefern macht sich die Trendwende, die Sie angesprochen haben, bemerkbar?
Harramach: Es kommt mehr Einfluss aus dem Osten auf uns zu und dieser wird noch stark zunehmen. Wir waren Jahrzehnte lang an Westtrends gekoppelt, deutsche Trends zum Beispiel. Hier kam ein starker Bruch. Die USA sind weiterhin interessant, weil hier einiges passiert, wo man hinschauen muss. Wichtig ist auch die EU als Gesamtgebilde, doch wichtiger wird, was sich in CEE und SEE tut. Das sind Wachstumsmärkte von denen auch die Wirtschaft und auch unsere Bildungsbranche enorm profitiert.

pressetext: Die Trendwende zeigt also eine Veränderung der Einflüsse, weniger eine verringerte Anbieterzahl?
Harramach: Der österreichische Markt wird solange weiter geflutet, bis wir es schaffen, strengere gesetzliche Regelungen aufzustellen, was aber nicht so schnell gehen wird. Einfluss aus dem Osten heißt, dass wir auch von dort noch lernen können. Wir müssen zum Beispiel darauf schauen, welche Bildungstrends es dort gibt, denn es kann sein, dass diese auf uns wirken. East goes west ist noch nicht so ausgeprägt, wie west goes east. Wir exportieren zwar alles, aber wir müssen auch aufpassen, was von dort kommt.

pressetext: Die Direktinvestitionen in die Aus- und Weiterbildung lagen 2006 in Österreich zwischen einer und 1,4 Mrd. Euro. In den vergangenen fünf Jahren sind diese relativ gering gestiegen. Wie sieht die künftige Entwicklung aus?
Harramach: Es sieht besser aus. Der Wirtschaft geht es besser, es wird wieder mehr investiert. Ich hoffe, dass wir die Weiterbildungsquote weiter hinauf bringen. Das ist unser Stiefkind. Hier sind wir Kellerkinder in der EU, auch osteuropäische Länder sind vor uns. Wir haben eine Weiterbildungsquote von rund 37 Prozent. Das bedeutet, dass knapp zwei Drittel der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der österreichischen Wirtschaft pro Jahr keine Bildungsmaßnahme bekommen.

pressetext: Woran liegt das?
Harramach: Das liegt an unserer Elitebildungskultur. Anders als zum Beispiel in den USA, wo diese Quote nicht mehr erhoben wird, denn hier geht sie gegen 100. Bei uns wird viel Geld investiert für wenige Mitarbeiter - zumindest im Mittelbau. Aber ein Phänomen gibt es auf der ganzen Welt: Mit dem Essen kommt der Appetit. Das heißt für die Bildung: gebildete Menschen bilden sich mehr weiter. Das ist eine Teufelsspirale. Die Investitionen sind durchschnittlich und im EU-Vergleich normal, nur die Quote ist niedrig. Hier können zwei Veränderungen eintreten: Die Investitionen steigen und damit die Weiterbildungsquote, oder die Weiterbildungsquote steigt, die Investitionen aber nicht. In diesem Fall bieten Unternehmen ihren Mitarbeitern zwar mehr Trainings an, geben dafür aber insgesamt weniger Geld aus. Das würde für die Wirtschaftstrainer den ungünstigen Trend eines gewaltigen Preisdrucks herbeiführen. Aber die Quote muss um jeden Preis steigen, denn das ist keine Strategie für eine Hochpreisvolkswirtschaft, wie wir es sind. Wir werden unsere hohen Kosten hier nur durch hohe Qualifizierung rechtfertigen können.

pressetext: Sehen Sie in den kommenden Jahren eine Erhöhung der Quote?
Harramach: Ja, ich hoffe es zumindest. Meine Vermutung basiert darauf, dass wir insbesondere in den großen und mittleren Unternehmen immer mehr Führungskräfte bekommen, die von Weiterbildung eine Ahnung haben, sie auch selbst erfahren haben und als Multiplikatoren diese verstärkt in die Unternehmen tragen.

pressetext: Die Herausforderung im Bereich IT-Training ist die ständige Weiterentwicklung des Fachwissens. Welche Anforderungen ergeben sich hier für Unternehmen und damit an die berufliche Aus- und Weiterbildung?
Harramach: Hier ist die Halbwertszeit des Wissens gering, Unternehmen müssen hier viel investieren und das tun sie auch. Die Anteile von IT-Aus- und Weiterbildung sind hoch und weiter steigend. Es ist nur schlecht, wenn deswegen andere Anteile gekürzt werden. Hier müsste man von Seiten der Unternehmen noch etwas drauflegen. Von der Anbieterseite her haben wir leider zu wenig akkreditierte IT-Trainer. Mein Bemühen ist es seit Jahren, die Zahl zu erhöhen. Das ist aus zwei Gründen schwierig. Einerseits, weil die IT-Trainer selber viel stärker einem anderen Zertifizierungsdruck unterstehen. Nämlich dem der Softwareanbieter. Wenn sie nur ein Kunde zertifiziert, ist das zu wenig in der IT-Branche. Die zweite Schwierigkeit ist eine noch viel größere. Die IT-Trainerlandschaft ist notgedrungen von Billigstanbietern noch viel mehr überschwemmt, die oft an der Existenzschwelle arbeiten. Deswegen ist der IT-Trainingsmarkt eine große Herausforderung, die wir überhaupt nicht im Griff haben.

pressetext: Was sind derzeit die Schwerpunkte am Aus- und Weiterbildungsmarkt?
Harramach: Das Finden, das Bilden und das Halten von Fachkräften sind zurzeit die Herausforderungen der Human-Ressource-Branche und werden es auch bleiben. Wobei das Halten immer wichtiger ist. Dabei kommt wieder die Personalentwicklung ins Spiel, denn einer der wichtigsten Mitarbeiterbindungsfaktoren ist die Aus- und Weiterbildung im Unternehmen. Hier wird es paradox. Unternehmer fürchten sich manchmal davor, dass sie ihre Mitarbeiter ausbilden und diese dann gehen. Dann haben sie ihre Investitionen verloren. Nun sieht man aber, dass dies ganz umgekehrt ist. Leute gehen nur dorthin und auch nicht so gerne weg von dort, wo es gute Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten gibt. Das ist eine günstige Entwicklung. In Osteuropa existiert dasselbe Phänomen. Unternehmen gehen dazu über, dass sie ihre Mitarbeiter selber besser ausbilden. Dieser Trend stärkt wieder die Personalentwicklung und ihren Stellenwert im Unternehmen.

pressetext: Welche Trends kommen in den nächsten Jahren noch auf uns zu?
Harramach: Durch Osteuropa kommt nochmals ein Qualifizierungsdruck auf uns zu, ebenso wie ein Internationalisierungsdruck. Dieser ist zwar schon da, wir sind aber noch zu wenig internationalisiert. Die junge Generation in Osteuropa ist beispielsweise sehr sprachgebildet, weltoffen, reisefreudig, leistungsfreundlich und hat einen hohen Motivationsfaktor zum Lernen. Dies trifft aber nicht auf die gesamte junge Generation Österreichs zu.

pressetext: Vielen Dank für das Gespräch.

(Ende)
Aussender: pressetext.austria
Ansprechpartner: Victoria Schubert
Tel.: ++43-1-81140-305
E-Mail: schubert@pressetext.com
|