Blinde haben besseres räumliches Vorstellungsvermögen
Gehör kompensiert verlorenes Augenlicht bei der räumlichen Orientierung
Marburg (pte) (pte003/10.07.1999/10:15) Blinde Menschen haben ein erstaunlich gutes räumliches Vorstellungsvermögen und übertreffen teilweise die Sehenden in ihrem Ortungsvermögen. Diesen Befund publiziert die Marburger Psychologin Brigitte Röder http://www.uni-marburg.de/psychologie/ in der jüngsten Nummer des Wissenschaftsjournals "Nature". Bislang waren manche Wissenschaftler davon ausgegangen, daß der Gesichtssinn das Ortungsvermögen dominiert.
"Diese Untersuchung zeigt, daß geburtsblinde Menschen präziser lokalisieren und zwar in Raumpositionen, in denen normalerweise Sehende sehr schlecht lokalisieren", betont Brigitte Röder vom Institut für Psychologie der Universität Marburg. Sie spielte acht geburtsblinden Freiwilligen verschiedene Geräusche aus acht im Raum verteilten Lautsprechern vor. Kam ein ungewohntes Geräusch etwa von rechts, mußten die Testpersonen einen bestimmten Knopf drücken. Entsprechendes geschah mit einer sehenden Kontrollgruppe.
Mittels EEG wurde die Gehirnaktivität gemessen. Das Ergebnis: Blinde konnten Geräusche am Rand des Wahrnehmungsbereiches besser erkennen und orten als Sehende, eine Fähigkeit, die den Verlust des Augenlichts offenbar kompensieren soll. "Blinde müssen ihr Umfeld über das Gehör überwachen, sie müssen Reize im Grenzbereich frühzeitig entdecken und darauf reagieren", erklärt die Psychologin. Im Zentrum des Wahrnehmungsbereichs konnten sich beide Gruppen dagegen gleich gut orientieren.
Eine Erklärung für das bessere Orientierungsvermögen ist die sogenannte kompensatorische Plastizität des Gehirns. Offenbar übernehmen bei Geburtsblinden Gehirnareale, die ursprünglich für die Reizverarbeitung des Gesichtssinns vorgesehen waren, Aufgaben bei der Verarbeitung von akustischen Reizen. "Wir haben neben der präziseren Abstimmung der neuronalen Einheiten bei Blinden auch Reorganisation gefunden. Wir gehen davon aus, daß bei blinden Kindern die Fähigkeit, sich auf auditive Ereignisse zuzuwenden verbessert, während bei sehenden Kindern der Gesichtssinn dominant wird", so Röder. (dradio)
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