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Frauenfußball zur WM beliebt wie nie zuvor

Rückstand Ostdeutschlands ist historisch bedingt, zeigt Forscherin


Carina Sophie Linne:
Carina Sophie Linne: "Fußballerinnen sind keine Damen" (Foto: Laura Soria)

Potsdam (pte017/28.06.2011/12:25) 14,09 Mio. Fernsehzuseher verfolgten am Sonntag das WM-Eröffungsspiel des deutschen Frauenfußballteams gegen Kanada. Aus geschichtlichem Blick ist diese Aufmerksamkeit eine Sensation. "40 Jahre Vorarbeit in Deutschland stecken hinter diesem bisherigen Höhepunkt in der Wahrnehmung des Frauenfußballs", erklärt Carina Sophie Linne von der Professur Zeitgeschichte des Sports an der Universität Potsdam http://uni-potsdam.de/sportgeschichte gegenüber pressetext. Im soeben bei be.bra erschienenen Buch "Freigespielt" zeigt die Forscherin, wie sich der Frauenfußball im geteilten Deutschland entwickelt hat.

Tritte und Weiblichkeit

Vorurteile, Diskriminierungen, jedoch auch wissenschaftliche Fehlurteile waren die Hürden des leistungsorientierten Frauensports im vergangenen Jahrhundert. "Problematisch war vor allem die biologische Begründung, dass das Treten nach dem Ball oder Kampfsport allgemein nicht zum weiblichen Wesen passe. Das unrichtige Argument aus der NS-Zeit, dass Sport die Gebärfähigkeit von Frauen senke, spukte noch lange in den Köpfen", so Linne. Aufbrüche gab es erst in den 70er-Jahren mit den Studentenbewegungen und der Emanzipation der Frau.

Vorsprung des Westens

Nach Anfängen in England kurz vor 1900 gelangte der Frauenfußball bald aufs europäische Festland und damit erstmals nach Deutschland. Während des Nationalsozialismus verboten, ging die Sportart später in Ostdeutschland andere Wege als in der Bundesrepublik, zeigt Linne in ihrer Untersuchung. "Das DDR-Staatssystem akzeptierte Frauensport zwar, drängte ihn jedoch in die Nische des kaum geförderten Freizeit- und Erholungssportes. Zu spüren ist dieser Aufholbedarf der ostdeutschen Bundesländer gegenüber dem Westen noch heute."

Doch auch in der BRD war die Etablierung der Sportart anfangs ein steiniger Weg. Von 1955 bis 1970 herrschte ein informelles Verbandsverbot seitens des Deutschen Fußballbundes. Da sich der deutsche Städtetag diesem allerdings nicht unterordnete, gab es immer wieder inoffizielle Länderkämpfe der Frauenmannschaften der Städte. Nach Aufhebung des Verbots gründete sich 1974 die Deutsche Amateur-Meisterschaft, die ein deutlich höheres Niveau als im Osten erreichte und ihre Nachwuchsarbeit 1979 begann. Vor der Wiedervereinigung gab es in der Bundesrepublik 479.098 registrierte Spielerinnen, im Osten hingegen nur 5.500.

Schönheit als Falle

"Frauenfußball braucht vor allem spielstarke, leidenschaftliche Fußballerinnen, egal auf welcher Ebene, sowie regelmäßiges Training und Sponsoren", betont Linne. Im Amateurfußball ist die Vereins- und Sponsordichte heute in Berlin am höchsten, während bei den Profis der 1. FC Frankfurt die Vorreiterrolle einnimmt. "Es kommt weiters auf eine professionelle Darstellung an, sowie auf die Zusammenarbeit mit Universitäten etwa in der Entwicklung von Trainingsplänen."

Der Aufholbedarf ist auch heute noch enorm. Nach wie vor können selbst Profifußballerinnen meist nicht vom Sport alleine leben. Auch werden sie von Journalisten teils immer noch vornehm als "Damen" bezeichnet und man hebt Körperlichkeit und das Äußere übermäßig hervor, kritisiert die Expertin. "Eine seriöse Sportberichterstattung stellt statt Schönheit den Sport in den Vordergrund und konzentriert sich auf das Spiel."

Eigenes Publikum, eigene Stimmung

Denn Frauenfußball sei eine eigene Sportart, die man nicht ständig mit dem männlichen Gegenstück vergleichen sollte, so das Credo der Sporthistorikerin. "Er hat sein eigenes Publikum und Stimmung, wie die WM-Eröffnung gezeigt hat. Ob man den gleichen Weg wie im Männerfußball einschlägt, wird sich erst zeigen." Spielerisch werde der Frauenfußball aufgrund der anderen konstitutionellen Verfassung immer langsamer bleiben. Technisch versiert und von Taktik geprägt sei er jedoch genauso.

Immerhin sei das aktuell hohe Publikumsinteresse ein "kleiner Gradmesser" für die aufstrebende Bedeutung der Sportart. "Bei den folgenden WM-Spielen wird das Interesse vermutlich wieder etwas zurückgehen. Was davon nachhaltig bleibt, zeigt sich aber erst im Bundesliga-Spielbetrieb nach der WM."

(Ende)
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