pte20100929007 in Leben

Rezepte gegen die Landflucht

Jugendpolitik entscheidet über Zukunft der Landgemeinden


Jugend: Gemeinden profitieren, wenn sie die Jugend als ihre Zukunft erkennen (Foto: pixelio.de/Pixe)
Jugend: Gemeinden profitieren, wenn sie die Jugend als ihre Zukunft erkennen (Foto: pixelio.de/Pixe)

St. Pölten (pte007/29.09.2010/09:30) Um den Verlust der jungen Generation vorzubeugen, müssen Landgemeinden heute mehr denn je bereit sein, sich aktiv mit Jugendpolitik auseinanderzusetzen. Das berichtet Manuela Brandstetter vom Ilse Arlt Institut für Soziale Inklusionsforschung der Fachhochschule St- Pölten http://inclusion.fhstp.ac.at . "Gelungene Jugendpolitik ist keine Bringschuld der Jugend, sondern eine gemeinsam zu erbringende Leistung. Es geht um den Alltag von Jugendlichen, nicht um Subkulturen", so die Forscherin im Interview mit pressetext.

Haben Jugendliche ein schlechtes Bild von ihrer Umgebung, ist das Image einer gesamten Gemeinde in Gefahr, betont Brandstetter. "Werden sie nicht richtig eingebunden, verlieren sie den Bezug zu ihrem Sozialraum und identifizieren sich nicht mehr mit ihm. Es droht Abspaltung und Kommunikationsabbruch und im schlimmsten Fall später Abwanderung." Selbst "Wohlfühl-Gemeinden" brauchen junge Menschen, die sich in ihr wohl fühlen und ihr Sozialkapital, ihre Ideen und Innovationen einbringen. Siedeln sich nur Senioren an, ist die Zukunft von kurzer Dauer.

Post-rural statt Landidylle

Der ländliche Raum verändert sich derzeit weit stärker als noch vor einigen Jahrzehnten, erklärt die Expertin. "Die Situation ist komplex und die Herausforderungen neu. Teils herrscht weiter Abwanderung und Pendlertum vor, teils Zuzug wie etwa im sogenannten 'Speckgürtel' rund um aufstrebende Städte. Enge Nachbarschaft gibt es weiter, doch auch globale Vernetzung, virtuelle Gemeinschaften und zudem auch neue Dynamiken wie Jugendarbeitslosigkeit oder Migration. Der früher rurale Raum ist heute post-rural." Das "Land" sei jedoch weiterhin ein blinder Fleck der Sozialforschung, obwohl etwa in Österreich jeder Zweite hier lebt.

In vielen Landgemeinden ortet Brandstetter eine Kluft zwischen den Generationen. "Politiker nehmen mit Sorge wahr, dass Jugendliche einen Park kaputt machen oder in dicht besiedeltem Gebiet just um drei Uhr früh Fußball spielen. Und sie fragen sich, ob hier ein Problem vorliegt oder nicht." Das Fußball-Beispiel deutet die Expertin als Teilhabe, nicht als Protest. "Es ist ein Zeichen der Jugendlichen, dass sie gehört werden wollen. Statt politikverdrossen ist die Jugend interessiert an Beteiligung. Die etablierten Gremien geben ihnen aber vielfach kaum Raum dazu." Jugendliche reagieren hochsensibel auf diesen Ausschluss, warnt die Forscherin.

Arbeit am Bild der Jugend

Das Image der Jugend ist vielerorts miserabel. Auch dies ist ein Problem, so Brandstetter, da oft bei genauem Hinsehen unzureichende Pauschalisierungen vorliegen. Jugendliche fühlen sich durch entsprechende Medienberichte abgewertet und sogar bedroht. "Jugendliches 'Komasaufen' gilt etwa oft vorschnell als Spitze eines Eisberges. Dabei müsste vielmehr der Jugendschutz diskutiert werden, wenn etwa ein 13-Jähriger bei einem öffentlichen Fest eine Whiskyflasche leert." Die meisten Jugendlichen wünschten sich durchaus alkoholfreie Jugendräume sowie Struktur und Betreuung in Jugendzentren statt völlige Regelfreiheit. Ohne eigenen Raum gehe es allerdings nicht, merkt die Expertin an.

Nötig sind positive Jugendpolitik-Ansätze in den Gemeinden selbst. "Die Jugend ist kein isolierbarer Bakterienstamm, der bei Anlassfällen einen Kammerjäger braucht, sondern eine lustvolle, schöne Lebensphase, mit der sich eine Gemeinde ständig und proaktiv auseinandersetzen sollte." Als ein Positivbeispiel nennt die Forscherin die niederösterreichische Gemeinde Loosdorf. Hier wurde ein Jugendparlament eingeführt, in dem Repräsentanten aller sozialen Gruppen des Ortes, aller Bildungsschichten sowie auch Angehörige von Minderheiten vertreten sind. Die Einrichtung ist zudem gut mit den Entscheidungsträgern sowie der Jugendarbeit des Ortes vernetzt.

Forschung für die Gemeinden

Derartige Einrichtungen sind ein guter Schritt, schützen aber noch nicht vor offenen Fragen und Problemen, etwa wenn es um den Ausbau eines Jugendzentrums geht. In Loosdorf holte die Gemeinde Sozialraumforscher zu Hilfe, die auf Grundlage einer eingehenden Problemanalyse durch ihre Empfehlungen den Politikern eine Entscheidungshilfe gaben. "Das Ergebnis der Untersuchung war zunächst, dass es die Gemeinde keine 'auffällige Jugend' hat. Weiters zeigte sich aber auch, dass die Gemeinde gut beraten war, selbst mehr aktive Lobbyarbeit für Jugendfragen zu betreiben."

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Aussender: pressetext.austria
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