pte20250613001 in Business

"Innovationen bieten Chancen in der Krise"

Winfried Weber über Bewältigungsstrategien von Unternehmen, Ethik in der Wirtschaft und Trump


Winfried Weber:
Winfried Weber: "21. Jahrhundert ist ein Zeitalter der Innovationen" (Foto: hs-mannheim.de)

Wien/Mannheim (pte001/13.06.2025/06:00)

Nahezu täglich schlechte Nachrichten aus Wirtschaft und Politik. Ein erratischer US-Präsident, der einen Kulturkampf gegen Wissenschaft und Medien führt und die internationale Handelsordnung mit Strafzöllen zum Einsturz bringt, wird zum Scheideweg für die Wirtschaft. Im nunmehr vierten Jahr des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine, steigender Energiepreise und weitreichender geopolitischer Verwerfungen stehen viele Unternehmen mit dem Rücken zur Wand. pressetext sprach mit Winfried Weber, Experte für Entrepreneurship und Academic Advisor des Hochschul-Start-ups Global Impact University sowie Gründungspräsident der Peter Drucker Society, über Auswege aus der Krise.

pressetext: Herr Weber, Deutschland steckt seit drei Jahren in der Rezession. Das IW Köln erwartet im Sommer drei Mio. Arbeitslose. Laut dem ifo Institut wollen Unternehmen Personal abbauen und planen weniger Neueinstellungen. Das DIW Berlin sieht zwar ein positives erstes Quartal, KfW Research rechnet jedoch erst ab 2026 mit Wachstum. Wie können Unternehmen das überstehen?
Weber: Der Teil der exportorientierten Familienunternehmen, die als Weltmarktführer mit hohem Eigenkapital und noch auskömmlichen Gewinnen dastehen, werden das überleben. Auch viele große Aktiengesellschaften hierzulade sind noch gut aufgestellt, sofern sie die Kosten in den Griff bekommen und mit Risikovorsorge Puffer geschaffen haben. Aber im internationalen Vergleich haben in Krisenzeiten viele deutsche Unternehmen gerade in reifen Märkten und mit ihrer latenten Gewinnschwäche sowie mit schlechter werdenden Standortbedingungen zu kämpfen. Ihre Rendite wird kaum für turbulente Zeiten reichen.

pressetext: Also werden nur die stärksten Unternehmen dauerhaft überleben?
Weber: Wir befinden uns in Zeiten einer strukturellen Transformation und Deglobalisierung. Gerade in turbulenten Zeiten trennt sich die Spreu vom Weizen. Die durchschnittliche Lebensspanne für einen multinationalen Konzern lag in den 1990er-Jahren noch bei 40 bis 50 Jahren. Jedes Jahrzehnt verliert der Börsenindex jedes Industrielands ein Teil seiner gelisteten Unternehmen, und das seit Jahrzehnten immer schneller. Für 2026 prognostiziert der S&P 500, dass Unternehmen im Schnitt nur noch rund 14 Jahre im Index verweilen. Zum Vergleich: 1965 blieben sie im Schnitt noch 33 Jahre und 1990 noch 20 Jahre. In den Club der Henokiens - der über 200 Jahre alten Unternehmen - können nur die Allerwenigsten eintreten.

pressetext: Aber optimistisch betrachtet: Können Unternehmen die Krise auch als Chance begreifen und gestärkt daraus hervorgehen?
Weber: Ja! Der Makroökonom Joseph Schumpeter sprach vom Prozess der schöpferischen Zerstörung, der jeder ökonomischen Entwicklung innewohne. Heute stecken die Unternehmen da mittendrin. Die Schnellen überholen die Langsamen. Die Innovatoren kegeln die Unternehmen mit veralteten Geschäftsmodellen aus dem Spiel. Jetzt kann es einen Push für die Produktivität geben. Selbstgefälligkeit muss angegangen werden. Der Kleinserienhersteller Toyota hat es in den 1970er-Jahren vorgemacht, indem fortan jeder Beschäftigte einen Verbesserungsvorschlag pro Monat einbrachte. Der zweite Push kann von neuen Geschäftsmodellen kommen, die hoffentlich schon in der Pipeline liegen. Intrapreneurship ist der Schlüssel für eine gelingende Transformation. Mit dem unternehmerischen, unternehmenskulturellen und innovativen Potential hierzulande lässt sich vieles erreichen. Innovationen bieten eine Chance in der Krise.

pressetext: Ich ahne, Sie wollen auch auf die Bedeutung von Start-ups hinaus?
Weber: Genau! Das bedeutendste Potenzial liegt im Neuen und weniger im Wandel des Alten. Im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts sprach man im Deutschen Reich und in Österreich-Ungarn von der Gründerzeit, in der das Bürgertum die kulturelle Führung übernahm. Wir brauchen gerade jetzt ein neues Mindset, wir sollten also eine neue Gründerzeit ausrufen. Auf globaler Ebene liegen hierzulande die traditionellen industriellen Stärken neben Automobil, Chemie und Pharma eben auch im B2B-Bereich. Rund 50 Prozent aller Hidden Champions sind in Deutschland, Österreich und der Schweiz beheimatet. Über 700 Zulieferer für ein iPhone kommen aus Deutschland. Das 21. Jahrhundert ist ein Zeitalter der Innovationen. Ray Kurzweil, Director of Engineering bei Google, prophezeite, dass es im 21. Jahrhundert tausend mal mehr Innovationen geben werde, als im 20. Jahrhundert. Und jeder Technologieführer benötigt einen Schwarm von Zulieferern. Es werden im B2B-Bereich zigtausende weitere Nischen entstehen und in jeder Nische werden sich neue Hidden Champions herausbilden. Management, Wissenschaft, Politik und Zivilgesellschaft sollten sich heute daher auf ein neues Narrativ verständigen.

pressetext: Und wie kann man Start-ups noch besser fördern?
Weber: Wenn man auf die eigenen Stärken vertraut, können sich wieder neue Cluster für Gründer entwickeln. Die Vision für Wirtschaftsakteure, Politik und Zivilgesellschaft müsste lauten: Wir bleiben und werden in vielen neuen Bereichen Technologieführer. Unsere Wirtschaft bleibt weiter ausbalanciert, mit starken KMU, Familien- und Stiftungsunternehmen wie Bosch, Mahle, Zeiss oder neuen Unternehmen in Verantwortungseigentum. Die Strategie heißt Innovationen für alle Wirtschaftsakteure! Ein Beispiel: Allein die TU München mit UnternehmerTUM als Europas führender Start-up-Factory bringt pro Woche zwei skalierbare Start-ups hervor. Die Transformation der deutschen Wirtschaft hin zu einer Gründungsnation kann gelingen, wenn nach diesem Vorbild zehn bis 20 weitere Start-up-Fabriken ihre Arbeit aufnehmen und diese Erfolgsgeschichten breit kommuniziert würden.

pressetext: Dazu braucht es jedoch gute Manager. Wie sehen diese aus?
Weber: Man denke hier an die Debatte, die Airbnb-Gründer Brian Chesky einst angestoßen hat. Er plädiert dafür, sich nicht an den Rat aus den Business-Schools, "rekrutiere gute Leute, aber mische dich nicht in die Details ein, was und wie sie es machen", zu halten. Erfolgreiche Start-ups switchen gerade in der Wachstumsphase zu einer Führung, die der hierarchiearmen Anfangsphase widerspricht. In Krisenzeiten wie diesen lohnt es sich für Start-ups, aber auch für etablierte Unternehmen, auf einen anderen Führungsmodus umzuschalten. Ganz wie in der Gründungsphase von Start-ups löst man Probleme etablierter Unternehmen, indem Manager wie die Start-up-Gründer tief in die Details involviert sind. Wer das Unerwartete managen will, braucht ein achtsameres Management. Führen heißt dann, sich in die Prozesse des Produkts und des Marktes zu vertiefen, Störungen zu beobachten, laufend das Geschäftsmodell anzupassen und aus Fehlern rasch zu lernen.

pressetext: US-Präsident Donald Trump hat einen Zollkrieg vom Zaun gebrochen, tausende Staatsbedienstete entlassen und forciert den Kulturkampf gegen Eliteuniversitäten. Dabei ist Bildung die Grundlage für Entrepreneurship, Innovation, wirtschaftliche Stärke und letztlich Wohlstand. Wie passt das zusammen?
Weber: Gar nicht! In der postdigitalen Gesellschaft ploppen allerorts politische Trittbrettfahrer auf, die ausnutzen, dass sich Wähler in ihren Echokammern vergraben. Immer wenn sich die Kommunikationsmedien der Menschheit änderten, entstanden gesellschaftliche Brüche. Und aktuell sind wir da mittendrin. Das Gefährliche an den digitalen Verbreitungsmedien ist, dass sie die liberale Gesellschaft viel rascher verändern, als ihre Bewahrer sie stabilisieren können. Und für Trump, Orban und Co sind Universitäten mit ihren liberalen Werten, ihrem glasklaren Code wahr/falsch und ihrer empirischen Verifizierung eine Bedrohung, die es zu bekämpfen gilt. Autokratische Regime wollen die offene Gesellschaft nicht mitgestalten, sie wollen sie abschaffen. Ihre Strategie lautet "flood the zone with shit" (Steve Bannon), die Ausgrenzung von Minderheiten, Erfindung von Sündenböcken und Diskreditierung der Verteidiger der Demokratie. Universitäten haben ein universalistisches Weltbild, sie fördern das globale Denken, bewegen sich in multilateralen Netzwerken und schaffen globale Kompetenzen.

pressetext: Wie können sich Universitäten in diesem Umfeld behaupten?
Weber: In Europa lernt die Generation Erasmus, sich auch als "Anywheres" zu beschreiben. Auch in der nicht-akademischen Berufswelt sollte in Europa im nächsten Schritt die Schließung, sich als reine "Somewheres" zu konstruieren ("mein Land zuerst"), aufgelöst werden. Ein Azubi-Erasmusjahr sollte kein Desiderat bleiben. Trump statuiert an den Universitäten ein Exempel und versucht, sie einzuschüchtern, ihnen die Ressourcen zu entziehen und die Freiheit der Lehre und damit den Rechtsstaat abzuschaffen. In Trumps Weltbild müssen die alten gesellschaftlichen Regeln zerstört werden. Wenn es sie dann nicht mehr gibt, werden aus seiner Sicht seine Unterstützer ihm erlauben, davon persönlich zu profitieren und die autokratische Ordnung zu etablieren. Bildung ist der Schlüssel für den Erhalt und die Weiterentwicklung der Demokratie, übrigens auch für die Management-Aus- und Weiterbildung, in der die Chefin und der Chef zur Bedrohung der Demokratie nicht schweigen. Demokratie braucht eine sie unterstützende Zivilgesellschaft und muss ihre "kulturelle Hegemonie" verteidigen.

pressetext: 54 Prozent der deutschen Unternehmen nehmen laut einer Umfrage des Digitalverbands BITKOM einen Attraktivitätsverlust Amerikas für Spitzenkräfte wahr - nicht zuletzt wegen Trumps Feldzug gegen die Wissenschaft. Eine Chance für Europas Wirtschaft?
Weber: Selbst für völlig unpolitische junge Führungsnachwuchskräfte oder Wissenschaftler werden die USA weniger attraktiv. Angesichts der gegenwärtigen geopolitischen Spannungen gilt es, eine europäische Vernetzung voranzutreiben und sich für Talente aus aller Welt zu öffnen. Generationen von Europäern emigrierten einst nach Westen. Wenn Europa sich auf seine liberalen Werte und seinen Gründergeist besinnt, können sich auf unserem Kontinent neue Cluster für Gründer von heute und morgen entwickeln und Europa kann auch insgesamt wirtschaftlich profitieren.

pressetext: In ihrem Buch "Die Purpose-Wirtschaft. Management als Balance zwischen Gewinn und Gemeinwohl" zitieren Sie den US-Ökonomen Peter Drucker. Ihm zufolge ist Wirtschaft zu wichtig, um sie nur den Ökonomen zu überlassen. Wie lassen sich Ethik und soziale Verantwortung verbinden?
Weber: Wirtschaft hat eine gesellschaftliche Funktion und ist in einer liberalen Demokratie mit rechtsstaatlicher Ordnung in andere Funktionssysteme eingebettet. Die europäische Krise erklärt der 1909 in Wien geborene Drucker 1939 mit dem Zerfall des liberalen Versprechens in der Weimarer Republik und dem individualisierten Individuum, das anfällig werde für Sündenbocktheorien und Massensuggestion. Es geht darum, die zwei Seiten derselben Medaille des Wirtschaftens zu verinnerlichen - das gesellschaftliche Gemeinwohlstreben eines Unternehmens und das ökonomischen Überleben. Wie sich ökonomische Logiken mit anderen Logiken überlappen, die sich an gesellschaftlichen Werten wie Nachhaltigkeit, sozialer Verantwortung, dem Erhalt der Demokratie oder der Menschenrechte orientieren, ist offen. Welches nächste Kalkül, welche Logik oder welches Regelsystem in einer Organisation dominiert, ebenfalls. Das muss in einer "Purpose-Wirtschaft" transparent gemacht und in zivilgesellschaftlichen Diskursen gegebenenfalls modifiziert werden.

pressetext: In den USA jedenfalls zeigt sich aktuell ein gänzlich anderes Bild. So kamen zur Inauguration Trumps in Washington neben Mark Zuckerberg (Meta) und Jeff Bezos (Amazon) auch Sundar Pichai (Google) sowie Elon Musk (Tesla). Inwieweit ist die Verquickung von Politik und Wirtschaft problematisch?
Weber: Wo die Grenzen einer unternehmerischen Haltung liegen, kann man gegenwärtig deutlich am Beispiel der USA sehen: das Defilee der Oligarchen, die mit ihrem extremem Reichtum, Macht und Einfluss dazu beitragen, die Demokratie in den USA und anderswo zu bedrohen. Für Drucker wäre dies die Delegitimierung pur und würde massiv zur Spaltung einer Gesellschaft beitragen. Der Wahlspruch von Hegel, Schelling und Hölderlin, der drei Freunde, die ab 1790 eine Studentenbude miteinander teilten, während sich gut 100 Kilometer westlich, die französische Revolution vollzog, war "Komm ins Offene, Freund!". Zuckerberg, Bezos, Pichai und Musk könnten da vielleicht nochmal nachschlagen.

pressetext: Opportunismus auch bei der deutschen Software-Schmiede SAP. Nachdem Trump Programme für mehr Geschlechtervielfalt gestrichen hat, beugt sich der Dax-Konzern. Man wolle das Ziel nicht mehr fortführen, einen Frauenanteil von 40 Prozent in der Belegschaft zu erreichen. Sind Profite wichtiger als Ethik?
Weber: Dass Menschen bei ihrem Handeln und ihren Entscheidungen ethisch bewertet werden, hat Tradition. Menschliches Handeln ist tugendhaft, pflichtbewusst, nutzenorientiert, ein Fall für die Therapie, für die Psychiatrie oder was auch immer. Aber Organisationen existieren bis auf weiteres im Medium des Geldes und müssen letztlich immer auf Zahlungsfähigkeit achten. CEOs von shareholder-value-getriebenen Aktiengesellschaften positionieren sich hier daher oft erratisch. Laut "Handelsblatt" beriefen sich SAP-Mitarbeitende 2022 in internen Foren auf die Ethikrichtlinie des Konzerns und forderten einen weitreichenden Stopp des Russland-Geschäfts, nachdem CEO Christian Klein weite Teile des Betriebs mit Russland zunächst weitergeführt hatte. Wenige Wochen später ließ er keinen Zweifel daran, dass er den Krieg gegen die Ukraine verurteile und sich SAP aus Russland zurückziehe. Es geht eher um Haltung im Management. Wie Manager die eigenen Werte mit den Interessen ihrer Shareholder und Stakeholder in Balance bringen, ist eine Frage des morgendlichen Blicks in den Spiegel.

pressetext: Zum Abschluss ein Zitat von BlackRock-CEO Larry Fink: "Ein Unternehmen sollte allen zugutekommen: Stakeholdern, Mitarbeitern, Kunden und letztlich auch der Allgemeinheit." Ist dieser Anspruch angesichts der Anbiederung vieler Unternehmen an die polititischen Verhältnisse - vor allem in den USA unter Trump - zum Wunschtraum geworden?
Weber: Nein! Der Purpose bleibt wichtig, auch wenn viele Unternehmen, gerade in den USA derzeit einknicken. Fink wurde mit seinem "2016 Annual Chairman's Letter to Investors" zum Feindbild des Trump-Lagers. Nach dem Klimaabkommen von Paris im Dezember 2015 hatte er darin den Aktionären angekündigt, nicht mehr in fossile Geschäftsmodelle zu investieren. Die Schatzmeister von 19 republikanisch regierten US-Staaten kündigten daraufhin das Abziehen staatlicher Gelder von BlackRock an. Der republikanische Senator Ted Cruz beschuldigte Fink gar, US-Bürger nach dem Preisanstieg fossiler Treibstoffe durch den Ukraine-Krieg zusätzlich zu belasten. Jetzt ist Fink wohl gezwungen, einen Gang herunterzuschalten. Im aktuellen Aktionärsbrief geht es um Konjunktur, Schuldenexzesse und Bitcoin als Bedrohung für den Dollar. Aber sein Signal an Investoren bleibt. Wenn Führungskräfte politische Verantwortung übernehmen und BlackRock ein Vermögen von über zehn Bio. Dollar verwaltet, gibt es angesichts gegenwärtiger Krisen gute Gründe, sich auf das politische Feld zu begeben und den Markenkern bei zu erwartenden Gegenreaktionen aus der Politik nicht preiszugeben.

pressetext: Vielen Dank für das Gespräch!

(Ende)
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