ptp20180108008 Politik/Recht, Technologie/Digitalisierung

EuGH-Urteil zu Facebook-Klage am 25.1.2018: Sammelklage, Musterklage oder keine Zuständigkeit?


Wien (ptp008/08.01.2018/09:35) Im August 2014 hatte der Jurist und Datenschutzexperte Max Schrems bei seinem zuständigen Gericht in Wien Klage gegen Facebook eingebracht - nachdem Beschwerden in Irland seit 2011 nicht von der zuständigen Datenschutzbehörde entschieden worden waren. Nun entscheidet der EuGH über die Zulässigkeit der Klage gegen Facebook. 2015 hatte Schrems in einem Verfahren gegen Facebook bereits das EU-US "Safe Harbor"-System vor dem EuGH zu Fall gebracht.

Reiner Zuständigkeitsstreit zu zwei Fragen

Facebook hatte beim Gericht in Wien diverse Gründe eingebracht, warum das Verfahren nicht eröffnet werden sollte. Der Großteil dieser Versuche, den Prozess zu verhindern, wurde bereits von den Gerichten in Österreich verworfen.

Übrig blieben die Fragen, (I) ob Schrems ein "Verbraucher" ist, oder diesen Status durch seinen gemeinnützigen Einsatz als Datenschützer verloren hat und (II) ob er auch die Ansprüche von anderen Nutzerinnen und Nutzern im Rahmen einer Sammelklage geltend machen kann. Diese Sammelklage wird von der ROLAND Prozessfinanz AG finanziert.

Facebook will, dass jede bzw. jeder der 25.000 Nutzerinnen und Nutzer nur alleine klagen darf - was die Verfahrenskosten in unfinanzierbare Höhen treiben würde. Geht es nach Facebook, soll der gleiche Fall also 25.000 Mal vor tausenden europäischen Gerichten verhandelt werden (frei nach dem Motto "Teile und herrsche").

Diese zwei Fragen wurden vom österreichischen Obersten Gerichtshof dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) zur Entscheidung übergeben. Eine inhaltliche Behandlung der Klage gegen Facebook ist erst nach der Abarbeitung aller Einwände von Facebook möglich.

Max Schrems: "Facebook weiß, dass das Verfahren inhaltlich nicht zu gewinnen ist. Daher versucht man alles, die Klage aus formellen oder wirtschaftlichen Gründen zu blockieren. Das läuft jetzt seit gut sieben Jahren so. Die Behörde in Irland wollte drei Jahre lang nicht entscheiden, und bei den Gerichten versucht Facebook alles, um eine Behandlung der Klagen zu verhindern. Ich erwarte mir jetzt eine Entscheidung, ob ich im Wege einer Musterklage oder mit einer Sammelklage endlich inhaltlich vor einem Gericht gegen Facebook vorgehen kann. Mit 25. Jänner 2018 sollten drei Jahre Blockade beendet sein, und die Klage endlich auch inhaltlich in Angriff genommen werden können."

Generalanwalt: Musterklage möglich, Sammelklage nicht

Im November des Vorjahres hat Michal Bobek, der Generalanwalt am EuGH seinen Schlussantrag in diesem Fall veröffentlicht. Darin bestätigt er, dass Max Schrems ein Verbraucher ist. Der Generalanwalt spricht sich generell für eine Notwendigkeit von Sammelklagen in der EU aus, will dies aber durch den Gesetzgeber geregelt haben und nicht durch eine "Sammelklage österreichischer Prägung". Im Gegensatz dazu hat der EuGH vor zwei Jahren in einem Kartellverfahren jedoch eine Sammelklage von 71 Unternehmen erlaubt.

Max Schrems: "Der Generalanwalt scheint kein Problem mit Sammelklagen an sich zu haben. In einem Kartellverfahren hat der EuGH das auch schon für 71 Unternehmen zugelassen. Das Problem scheint beim Verbraucherbegriff zu liegen. Der Generalanwalt ist der Ansicht, dass nur der ursprüngliche Vertragspartner eines Unternehmers ein 'Verbraucher' ist. Die Konsequenz wäre aber absurd: Unternehmen könnten in Kartellschadenersatzverfahren relativ leicht Sammelklagen führen, Verbraucher dürften das aber nicht."

Massive Einschränkung des Verbraucherbegriffs möglich

Die Ansicht des Generalanwalts würde über die Frage der Sammelklage hinaus zu einer massiven Einschränkung des Verbraucherbegriffs bedeuten. Max Schrems: "Wenn nur der ursprüngliche Vertragspartner unter den Verbraucherschutz fällt, ist beispielsweise der Zweitbesitzer eines Autos nicht mehr 'Verbraucher', weil er keinen direkten Vertrag mit dem Autohändler hat. Wenn Sie zu Weihnachten ein Geschenk bekommen, sind Sie nicht 'Vertragspartner' von Amazon, weil Sie es ja nicht gekauft, sondern nur geschenkt erhalten haben. Sie haben dann im Problemfall keinen Verbraucherschutz. Das wäre eine massive Einschränkung des Verbraucherbegriffs."

Nach Irland und Sammelklage: Nächstes Projekt noyb schon im Entstehen

Unabhängig vom Urteil des EuGH wird es ab Mai 2018 mit dem Inkrafttreten der "EU-Datenschutzgrund-VO" (DSGVO) massiv verbesserte Möglichkeiten für die Durchsetzung des Grundrechts auf Datenschutz geben. So sollen auch Vereine die Rechte von Nutzern kollektiv geltend machen können. Der Verein noyb - European Center for Digital Rights (https://noyb.eu ) will genau diese Möglichkeit nutzen.

Diese neue Organisation soll mit effektiver und strategischer Rechtsdurchsetzung sicherstellen, dass die Datenschutzregelungen auch bei jedem Nutzer am Smartphone oder Computer ankommen (#MakePrivacyReal). Partner wie der österreichische oder der norwegische Verbraucherschutzband, nationale Datenschutz-NGOs und ein ROLAND Prozessfinanz AG werden noyb bei der operativen Tätigkeit unterstützen. Mitglieder sind unter anderem Jan-Philipp Albrecht (EU-Abgeordneter und Berichterstatter zur DSGVO) oder Paul Nemitz (vormals Direktor für Grundrechte, Europäische Kommission).

Schrems: "Das Verfahren gegen Facebook zeigt, dass man als einfacher Nutzer - selbst wenn man Datenschutzexperte ist - sehr viel Zeit und Energie braucht, um zu seinem Recht zu kommen. Wir haben derzeit Datenschutzrecht am Papier, aber nicht wirklich in der Praxis. Die Lösung kann daher nur die kollektive und strategische Durchsetzung auf europäischer Ebene sein. Wir haben mit dem neuen EU-Datenschutzrecht und noyb jetzt die Möglichkeit, die Situation massiv zu verbessern."

Bis Ende Jänner 2018 läuft noch eine Kickstarter-Kampagne für eine stabile Finanzierung des Projekts (https://noyb.eu ). Bislang konnten etwas über 55 Prozent der mindestens benötigten 250.000 Euro pro Jahr gesammelt werden. Neben zahlreichen privaten Fördermitgliedern wird noyb auch von der Stadt Wien (mit 25.000 Euro pro Jahr), dem Betreiber der datenschutzfreundlichen Suchmaschine StartPage.com (mit 20.000 Euro pro Jahr) und Mozilla, der Stiftung hinter dem Firefox-Browser (mit 10.000 Euro) finanziert. Weitere Finanzierungszusagen werden in Kürze erwartet.

(Ende)
Aussender: noyb - European Center for Digital Rights
Ansprechpartner: Mag. Werner Reiter
E-Mail: werner.reiter@werquer.com
Website: noyb.eu/
|