ptp20170919010 Medizin/Wellness, Forschung/Entwicklung

Multiple Sklerose: Neuere Therapie-Optionen im Überblick

XXIII WCN 2017 in Kyoto, Japan, vom 16. bis 21. September 2017


Kyoto (ptp010/19.09.2017/09:00) Für die Behandlung von Multipler Sklerose (MS) brachte das letzte Jahrzehnt vielversprechende neue Wirkstoffe und therapeutische Strategien, um den Krankheitsverlauf zu verlangsamen und die Lebensqualität der Betroffenen zu verbessern. "Zusammengefasst ist es das Ziel der aktuellen therapeutischen Strategien, die körperlichen Funktionen und die kognitive Leistungsfähigkeit der Patienten durch frühe und wirksame Behandlung zu erhalten, indem wir bei allen MS-Formen die Krankheitsaktivität bestmöglich unterdrücken", so Prof. William Carroll von der University of Western Australia, Perth, Vice-President der Weltföderation für Neurologie (World Federation of Neurology, WFN).

Er gab auf dem XXIII. Weltkongress für Neurologie in Kyoto (WCN 2017) einen Überblick über aktuelle Behandlungsmöglichkeiten in Sachen MS sowie bewährte und neue Wirkstoffe und Therapieansätzen mit erwiesenem Nutzen. "Jede neue Substanzklasse hat uns auch neue Einsichten in Krankheitsmechanismen im Gehirn und Rückenmark gebracht. Gemeinsam mit Biomarkern, die identifiziert werden konnten, und einem immer besseren Zugang zu wirksamen Therapien wird das zu verbesserten Behandlungsergebnissen führen, insbesondere zu einer reduzierten Behinderung", so der Experte.

Was das Verständnis der Krankheitsmechanismen bei fortgeschrittener MS betrifft, leistet die "International Progressive MS Alliance" wichtige Arbeit. Sie koordiniert konzertierte Forschungsbemühungen zu den fortschreitenden Verschlechterungen des Zustandes bei Patienten, bei denen im MRT eine Unterdrückung der Entzündung erkennbar ist. Hier sollen die Mechanismen geklärt und neue therapeutische Ansätze gefunden werden. "Wichtige Bemühungen gibt es verstärkt auch um die Symptomkontrolle bei MS-Betroffenen mit permanenten Beeinträchtigungen, wie der Störungen der lokomotorischen Funktionen, der Funktion des Schließmuskels, kognitiver Funktionen, Fatigue und Schmerzen", benennt Prof. Carroll weitere vorrangige Ziele der MS-Behandlung.

Mehr Lebensqualität durch orale Medikation

Seit vielen Jahren sind Injektionen von Interferon Beta 1a und 1b das Mittel erster Wahl für die Basistherapie der schubförmigen MS. Sie verlangsamen das Fortschreiten der Erkrankung, vermindern die Frequenz der Schübe und senken den Schweregrad. Ebenfalls injiziert wird Glatirameracetat. Das Gemisch synthetischer Polypeptide verhindert Entzündungsreaktionen, hat eine neuroprotektive Wirkung und wurde und wird bei rezidivierender MS eingesetzt. Der Wirkstoff Mitoxantron wurde als Alternative verwendet, wenn injizierbare Substanzen keine Besserung brachten. "Seine gute Wirksamkeit für die sekundär progredienten MS ist zwar belegt, dennoch ist die Anwendung dieses Wirkstoffes heute stark rückläufig, da bei dieser Therapie die Kontrolle der Herzfunktion sowie eine genaue Beachtung der Dosisobergrenze notwendig sind, die Therapie nur in spezialisierten Zentren durchgeführt werden sollte und nachfolgende Behandlungsoptionen einschränken kann", erklärt Prof. Carroll.

Die Lebensqualität von MS-Patienten stark verbessert haben in der letzten Dekade die neueren Wirkstoffe in Kapsel- oder Tablettenform wie Dimethylfumarat, Fingolimod oder Terflunomid. "Siponimod ist eine Weiterentwicklung von Fingolimod und könnte nach positiven Phase-III-Resultaten 2017 in verschiedenen Ländern zugelassen werden. Der Wirkstoff soll auch bei sekundär chronisch progredienter MS mit noch vorhandener Schubaktivität eine Immuntherapie ermöglichen und zwischen 25 und 30 Prozent Progressionsverzögerung erwirken", so der Experte. Cladribin zeigte in Studien deutliche Wirkungen auf die relevanten MS Krankheitsparameter MRT, Schubaktivität und Krankheitsprogression. Der Wirkstoff wurde zwar bereits 2010 in Australien und Russland zur Behandlung schubförmig-remittierend verlaufender MS zugelassen, ein europäischer Zulassungsantrag wurde allerdings 2011 zurückgezogen und in der Folge wurde das Medikament auch in Australien und Russland wieder vom Markt genommen. Im Juni 2017 stellte die Europäische Arzneimittelagentur jedoch eine positive Option für die Zulassung aus, sodass nun mit einer raschen Verfügbarkeit des Wirkstoffes in Europa und auch anderen Regionen zu rechnen ist.

Hochwirksam: Monoklonale Antikörper

Die Entwicklung monoklonaler Antikörper-Therapien mit Alemtuzumab, Natalizumab, und Daclizumab ermöglicht sehr selektive Beeinflussungen des Immunsystems und somit auch hoch wirksame Therapien der Multiplen Sklerose. "Neben den vielversprechenden therapeutischen Erfolgen müssen allerdings auch seltene, aber zum Teil schwer wiegende Nebenwirkungen in die Nutzen-Risiko-Abwägung einfließen", betont Prof. Carroll. Neu in dieser Wirkstoffgruppe ist Ocrelizumab, ein humaner monoklonaler Antikörper, der sich vorwiegend gegen B-Lymphozyten richtet und ein Nachfolgeprodukt des Rheuma- und Krebsmedikaments Rituximab ist. "Positive Ergebnisse der Phase-III-Studien lassen erhoffen, dass Ocrelizumab zukünftig nicht nur bei schubförmiger MS, sondern auch bei bestimmten Subgruppen mit progredienter MS einsetzbar sein wird", so Prof. Carroll.

Autologe Blutstammzellen-Transplantation

Eine andere neue Therapieform zur Behandlung von MS ist die autologe Blutstammzellen-Transplantation, die dann zum Einsatz kommt, wenn hochwirksame Medikamente keinen Behandlungserfolg haben. Zwar zeigt dieser Ansatz, dass sich damit die MS in Schach halten lässt, allerdings sind die Nebenwirkungen erheblich. Zudem liegen noch wenige Langzeitdaten dazu vor, wie lange MS mit dieser Therapie aufgehalten werden kann, aber die Trends sehen viel versprechend aus. "Die Risiken und Nutzen der Stammzellentherapie müssen daher mit denen der neuen medikamentösen Therapiemöglichkeiten abgewogen werden", sagte Prof. Carroll.

Realistische Ziele der MS-Behandlung

"Bei rezidivierender MS zeigen Erweiterungsstudien sowie große registerbasierende Datensammlungen, dass das Erreichen von NEDA-4 (No Evidence of Disease Activity) gegenwärtig ein realistisches Ziel darstellt", erklärt Prof. Carroll. Das bedeutet für die Betroffenen: Schubfreiheit, keine neuen Herde in der konventionellen MRT, keine Behinderungsprogression, einschließlich kognitiver Behinderung, eine Normalisierung der der Hirnatrophie. Der WFN-Vizepräsident hofft, dass durch neue aggressive Behandlungen in einem frühen Stadium Behinderungen überhaupt verhindert werden können. "Der bestehende Schweregrad der Behinderung, wie er auf der EDSS (Expanded Disability Status Scale) gemessen wird, könnte aufgehalten und in manchen Fällen sogar verringert werden."

Ein ähnlicher Entwicklung könnte sich für progressive (fortschreitende) MS abzeichnen: Mit Ocrelizumab für die primäre und Siponimod für die sekundäre Form könnte es neue wirksame Therapien geben. "Obwohl noch nicht absolut gesichert bewiesen ist, dass damit MS zum Stillstand gebracht und das Fortschreiten verhindert werden kann, lohnt es sich, diese Therapieansätze weiter zu verfolgen", ist Prof. Carroll überzeugt. "Nur abzuwarten würde bedeuten, auf das Potenzial neuer Therapieoptionen zu verzichten, die uns für eine mögliche Reduktion der Behinderung zur Verfügung stehen werden."

Quellen: Carroll, W: Therapeutic Overview of MS - Emerging Goals. Abstract WCN17-3716; http://www.progressivemsalliance.org

(Ende)
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