ptp20140207006 Politik/Recht, Medien/Kommunikation

Teltschik: "Ohne Frankreich und Deutschland läuft ja nichts"

Interview mit EurActiv.de: Außenminister Steinmeier soll der neue Antreiber sein


Berlin (ptp006/07.02.2014/09:35) Der deutsch-französische Motor muss wieder in Gang kommen. Außenminister Steinmeier soll für Dynamik sorgen, fordert Horst Teltschik im Gespräch mit Ewald König (EurActiv.de). Frankreichs Präsident Hollande dagegen muss sich gefasst machen, dass ihm die Europawahl zur Abrechnung wird.

EurActiv.de: Im Bundestagswahlkampf war Europa kein Thema. Und trotzdem heißt es plötzlich, Europa sei die wichtigste Aufgabe. Dabei scheint es ja nicht einmal mit dem deutsch-französischen Motor zu klappen.
TELTSCHIK: In der Koalitionsvereinbarung der jetzigen Großen Koalition steht drin, dass Europa die wichtigste Aufgabe ist. Meine Hoffnung besteht darin, dass sich jetzt über Außenminister Frank-Walter Steinmeier die deutsch-französischen Beziehungen wieder intensivieren und auch Francois Hollande wieder stärker auf Deutschland zugeht. Ich finde auch gut, dass die Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen sofort in Paris war. Allein diese beiden Minister können schon einiges bewegen. Wenn der deutsch-französische Motor wieder in Gang käme, könnte man auch wieder mehr Dynamik in dieses Europathema hineinbringen. Denn ohne Frankreich und Deutschland läuft ja nichts.
Wenn sich Deutschland und Frankreich einigen, lässt sich leicht aufzählen, wer aller hinter den beiden steht. Man könnte ja auch andere Partner von Anfang an einbeziehen, Polen, Österreich, Benelux oder Spanien. Es gab immer diese Ambivalenz: Wenn sich Deutschland und Frankreich einig waren, sahen die anderen gar keine Alternative. Und umgekehrt: Haben sie sich aber nicht geeinigt, hieß es sofort: Wenn ihr euch nicht einigt, dann läuft doch überhaupt nichts.
Ich hoffe, dass da neue Dynamik kommt. Steinmeier kann der neue Antreiber sein. Es kann nicht genug Antreiber geben.

EurActiv.de: Aber es ist befürchten, dass sich die Franzosen ziemlich lange nicht berappeln werden.
TELTSCHIK: Schauen wir mal, wie ernst Hollande meint, was er angekündigt hat. Was er sicher befürchten muss, ist, dass die Europawahl eine Abrechnung auch mit ihm wird. Das haben wir ja auch bei Jacques Chirac erlebt, als es um die europäische Verfassung ging, desgleichen in den Niederlanden: Die Bevölkerung hat ja nicht gegen die Verfassung gestimmt, sondern gegen die nationale Regierung. Das kann dem Hollande nun auch passieren.

EurActiv.de: Die Europawahl hat traditionell niedrige Wahlbeteiligung, die Werbebotschaften sind gar nicht wahrnehmbar. Gleichzeitig befindet sich die EU in einer Krise, wie sie es noch nie gegeben hat. Muss man sich darauf gefasst machen, dass die EU eine kräftige Ohrfeige bekommt, eine Art Wake-up-Call?
TELTSCHIK: Was ja nicht schaden würde. Spätestens da müssten die Europäer aufwachen. Sie sprechen immer von den demokratischen Defiziten in Europa. Das Europaparlamnt wäre genau das Instrument, mit dem man das verändern könnte. Man könnte überlegen, unter Umständen eine zweite Kammer einzurichten - ähnlich wie der amerikanische Senat. Jedes Land könnte in dem Zwei-Kammer-System Vertreter entsenden. Es gibt ja genug Vorschläge dafür. Wenn man demokratischen Defizite aufheben will, muss man dem Europäischen Parlament Rückenstärkung geben.

EurActiv.de: Stichwort Syrien: Wir haben seit langem denselben Stand. Die Russen verweigern jeden Eingriff. Aber was wäre denn die Alternative?
TELTSCHIK: Wenn Russland im UN-Sicherheitsrat nicht dazu zu bewegen ist, Maßnahmen gegen Syrien zu ergreifen, sind wir an dem Punkt, an dem man die Gegenfrage stellen müsste: Wie sieht eine Lösung mit Assad aus? Die Russen haben immer wieder angedeutet, sie halten an Assad nicht unter allen Umständen fest, aber sie haben genauso wenig eine Lösung anzubieten wie der Westen. Insofern haben wir ein "Stalemate", eine Pattsituation. Keine Seite weiß, wie die Probleme aufzulösen sind.

EurActiv.de: Für viele kommt ohnehin alles zu spät. Kann man bloß zuschauen, wie weiter abgeschlachtet wird und wie sich das Thema Syrien selbst erledigt?
TELTSCHIK: Ja. so ist es. Auch die Türkei hat aus meiner Sicht nie darüber nachgedacht, wie sie zur Beilegung des Konflikts beitragen kann. Ich finde es auch einen Fehler, dass man den Iran aus der Konferenz wieder ausgeladen hat. Es wird keine Lösung für Syrien ohne den Iran geben. Die Frage ist: Muss sich dieser Bürgerkrieg -oder was ist das eigentlich? Es ist mehr als ein Bürgerkrieg! - praktisch totlaufen? Erreicht er einen Punkt, wo die Katastrophe solche Ausmaße annimmt, dass endlich Maßnahmen zu ergreifen sind? Wer wird die ergreifen? Die Amerikaner denken im Traum nicht dran, und die Europäer sind dazu gar nicht in der Lage. Es ist fast aussichtslos - außer man erreicht über Verhandlungen wenigstens einen Waffenstillstand.

EurActiv.de: Sehen Sie Fortschitte im Iran?
TELTSCHIK: Verbal schon. Das halbjährliche Abkommen scheinen die Iraner einzuhalten. Rohani hat in Davos erklärt, dass er ein dauerhaftes Abkommen will. Da gibt's nur eines: Weiterverhandeln, entsprechende Kontrollmaßnahmen vereinbaren und sehen, ob den Worten Taten folgen. Innenpolitisch hat sich aber nichts verändert. Es gab im vergangenen Jahr so viele Hinrichtungen wie schon lang nicht mehr. Die Repressionen gehen weiter. Und Rohani ist nicht entscheidend. Entscheidend ist nach wie vor Ajatollah Chameini. Dessen verble Äußerungen sind aber nicht flexibler geworden.

EurActiv.de: In der Türkei hat die EU einen sehr schwierigen Partner, wie sich auch beim Berlin-Besuch Ministerpräsident Erdogans gezeigt hat: Gezi-Park, Korruptionsskandale, Rücktritte - und ein Erdogan, der offenbar eine Persönlichkeitsveränderung durchgemacht hat. Wie soll die EU mit der Türkei umgehen?
TELTSCHIK: Erdogan versucht alles, um an der Macht zu bleiben. Entweder um in der nächsten Legislaturperiode als Regierungschef weiterregieren zu können oder Präsident zu werden. Dazu scheinen ihm viele Mittel recht zu sein, die für die EU nicht akzeptabel sind.
Es hat ja auch Gespräche in Brüssel gegeben, ich hoffe, man hat ihm mit aller Härte klargemacht, dass er die Beitrittsverhandlungen in Frage stellt, wenn er so weiter macht. Das einzige Druckmittel, das die Europäer haben, ist zu sagen: Wir setzen die Verhandlungen aus.

EurActiv.de: Was aber die jüngere und nach Europa orientierte Generation frustrieren würde.
TELTSCHIK: Klar, das ist die positive Perspektive. Die jüngere Generation und die vielen Rückkehrer aus Deutschland, die ja oft sehr gebildet sind und in der Türkei berufliche und wirtschaftliche Perspektiven sehen, sind die Hefe, die die Türkei positiv verändert.
Auch Erdogan selbst hat ja vieles positiv verändert. Aber jetzt hat er einer Phase, wo er nicht von der Macht lassen kann, zu repressiven Maßnahmen greift und damit die eigenen Erfolge in Frage stellt.

EurActiv.de: Und von der EU hat er sich immer weiter entfernt?
TELTSCHIK: Offensichtlich. Man muss sehen, dass Erdogan und seine Regierung in einer schwierigen Lage sind, nicht nur in der Innenpolitik, wo sie das Problem haben, dass die Machteliten auch korrupt sind und nach wie vor zu repressiven Maßnahmen neigen. Aber auch ihre Außenpolitik ist letztlich gescheitert. Die Außenpolitik, die eine konfliktfreie Beziehung mit allen Nachbarn bringen sollte, war nicht erfolgreich.

EurActiv.de: Wie finden Sie als Transatlantiker die Reaktionen der Amerikaner auf die NSA-Skandal?
TELTSCHIK: Ich teile die allgemeine Auffassung, dass die Abhöraffäre gegen die Bundeskanzlerin und andere politische Spitzen in Europa ein Skandal sind. Das Abhören von Gerhard Schröders Handy durch die NSA ist genauso unerträglich wie das Abhören des Handys von Merkel. Ich hätte mir deutlichere Worte vom amerikanischen Präsidenten erwartet. Ich erwarte mir nun vom Kongress mehr Druck auf die Administration, restriktiver vorzugehen. Das Problem mit den Europäern und vor allem mit der Bundesrepublik ist, dass Merkel und Obama sich seit drei Jahren nicht in Washington getroffen haben.

EurActiv.de: Und sich regelrecht gemieden haben?
TELTSCHIK: Sieht so aus. Dass Obama in der letzten Legislaturperiode nicht ein einziges Mal in Deutschland war, halte ich für sensationell. Das hat es früher nie gegeben. Und dass jetzt nach drei Jahren endlich wieder mal ein Gespräch in Washington stattfindet, ist überfällig. Ich hab das selber oft genug miterlebt: Solche Gespräche sind durch Telefonate nicht zu ersetzen. Da muss man sich schon mal zusammensetzen und längere Zeit intensiv miteinander reden.
Die transatlantischen Beziehungen haben erheblich an Dynamik und an wechselseitigem Vertrauen verloren. Ich halte das für außerordentlich beklagenswert, weil beide Seiten keine Alternative zueinander haben, weder die Europäer noch die Amerikaner. Wenn man sich die globale Entwicklung ansieht: Wer soll denn zusammenarbeiten, wenn nicht die Europäer und die Amerikaner? Aber dazu braucht man Vertrauen!

EurActiv.de: Soll der Abhörskandal die Verhandlungen ums Freihandelsabkommen (TTIP) bremsen?
TELTSCHIK: Diese Stimmen gibt es hauptsächlich in Europa. Ich halte die für fatal. Es gab seit zwanzig Jahren viele Anläufe für das Abkommen, aber auf beiden Seiten nie wirklich ein ernsthaftes Bemühen auf politischer Ebene. Jetzt hat man sich endlich entschieden; das wegen NSA in Frage zu stellen, halte ich für töricht. Denn die Vorteile eines solchen Abkommens liegen auf beiden Seiten. Man kann nicht die andere Seite "bestrafen" wollen. Das ist ja kein Kindergartenspiel.

(Ende)
Aussender: EurActiv.de
Ansprechpartner: Ewald König
Tel.: +49 30 2060 5151
E-Mail: e.koenig@euractiv.de
Website: www.euractiv.de
|