pts20031003016 Medizin/Wellness, Politik/Recht

Gesundheit bedeutet Wohlstand

Pressegespräch: EU-Gesundheits-Kommissar David Byrne, Prim.Dr. Günther Leiner


Bad Gastein (pts016/03.10.2003/12:09) Gesundheit bringt Wohlstand - die Forderung nach einer gesundheitsorientierten EU-Finanzpolitik stand im Mittelpunkt eines Pressegesprächs von EU-Gesundheits-Kommissar David Byrne vor den Teilnehmern des European Health Forum in Bad Gastein am 3. Oktober 2003.

Leistungskürzungen für Ältere werden salonfähig
Prim. Dr. Günther Leiner freut sich als EHFG-Präsident über den regen Zuspruch, den das 6. EHFG erfahren hat: "Mehr als 550 Teilnehmer aus 43 Staaten haben heuer ihren Weg ins Gasteinertal gefunden. Es zeigt, wie wichtig Gesundheit für das Wohl des Einzelnen und der Gesellschaft ist und wie gefährdet sie zugleich ist." Leiner wies in einem Rückblick über die in den letzten Tagen diskutierten Problemfelder auf bedenkliche Entwicklungen hin. "Heute stellt der Anteil der Menschen im Alter von 65 und darüber 16% der Gesamtbevölkerung dar und wird bis 2010 auf 18% steigen. Und über 80-Jährige wird es schon in 15 Jahren um 50% mehr geben", erklärte Leiner. Bei der Suche nach Möglichkeiten, wie die steigenden Kosten in Gesundheits- und vor allem Pflegebereich bestritten werden können, würden nicht selten irreführende Wege beschritten. "Es wird immer mehr salonfähig, über Kürzungen für ältere Bürger nachzudenken", kritisierte Leiner.

Gesundheitskosten nicht am BIP angleichen
Der österreichische Gesundheitsstaatssekretär Reinhart Wanek ergänzte in diesem Zusammenhang: "So wie die vom Europarat garantierten Menschenrechte für alle Bürger gelten, so soll auch der freie Zutritt zu allen Gesundheitseinrichtungen für alle Kranken und Gebrechlichen gewährleistet sein. Das Recht auf Gesundheit und auf optimale medizinische Versorgung muss daher unabhängig vom Einkommen der Bürger weiterhin garantiert sein." Waneck sieht in der Gesundheits-Politik folgende Schwerpunkte: Vorsorge vor Behandlung, ambulant vor stationär und Rehabilitation vor Pflege. Leiner gab zu bedenken, dass für die Ausgaben im sozialen Bereich immer das BIP als Messlatte herangezogen würde. Wie einer der EHFG-Experten hingewiesen habe, schwankten die Beziehungen zwischen BIP und den Gesundheitsausgaben oft gewaltig. Bei der Berechnung des BIP würden Personen im Ausland oder Jugendliche ohne Einkommen, die nicht zur Finanzierung beitragen, gar nicht eingerechnet. Zudem stiege das BIP wesentlich langsamer als die Gesundheits- und Sozialkosten. Und was tun, wenn das BIP aufgrund von Rezession sinkt?

Sparpotentiale finden
"Wichtiger wäre es allerdings, alle Bereiche ausfindig zu machen, in denen es Sparpotential gibt." Dr. Kees de Joncheere vom WHO-Regionalbüro habe beim EHFG auf zahlreiche Studien verwiesen, die belegen, dass weniger als 15 Prozent der pharmazeutischen Innovationen tatsächlich einen therapeutischen Fortschritt in der Medizin bringen. Viele angeblich neue Medikamente seien nichts anderes als alte Hüte in neuen Schachteln. "Keine Frage, dass wir die richtigen Rahmenbedingungen für eine leistungsfähige Pharmapolitik schaffen müssen. Der Staat darf zum Beispiel nicht die gesamte Grundlagenforschung an Private abgeben. Aber es besteht dringender Handlungsbedarf bei der Zulassungspolitik von Medikamenten. Ein Vergleichszwang bei der Zulassung neuer Medikamente vor der Zulassung würde schon einiges verbessern."

Arbeitskräfte-Aderlass bei den neuen EU-Staaten
Mit der kommenden EU-Erweiterung, so Leiner, sei sicher damit zu rechnen, dass noch mehr Ärzte und Krankenpflegepersonal aus den neuen EU-Staaten in die EU-15 kommen werden, weil sie sich dort bessere Bezahlung und größere Karrierechancen erwarten. "Die Freizügigkeit für Arbeitskräfte ist für die alten EU-Staaten im Gesundheitsbereich nur von Vorteil. Wir haben z.B. mancherorts drückenden Mangel beim Pflegepersonal, und mit der alternden Bevölkerung wird er noch weiter zunehmen. Mit der EU-Erweiterung bekommen wir junges, gut ausgebildetes Fachpersonal und müssen nicht einmal dessen Ausbildung finanzieren." Für die neuen EU-Staaten, deren Gesundheitsstandards ohnehin noch nicht an den bisherigen EU-Schnitt angeglichen seien, bedeute dies ein empfindlicher Aderlass. "Eine Untersuchung hat gezeigt, dass in Litauen 26 Prozent der praktizierenden Ärzte planen, nach dem EU-Betritt in ein altes EU-Land auswandern wollen. Bei den litauischen Medizinstudenten liegt diese Rate sogar über 60 Prozent."

Gesundheit als Triebkraft für die Wirtschaft
Auf das diesjährige Generalthema des 6. European Health Forum Gastein, "Health & Wealth", ging der für Gesundheit und Verbraucherschutz zuständige EU-Gesundheitskommissar David Byrne ein. "Die Gesundheit treibt die wirtschaftliche Entwicklung voran", sagte Byrne, "aber von der Politik wird die Gesundheitspolitik nur zu oft in einem negativen Licht gesehen: Gesundheitspolitik als Wasserkopf oder Geld, das versickert."
Obwohl auf politischer Seite schon Fortschritte gemacht worden seien, sei die ökonomische Seite gerade erst andiskutiert worden, sagte Byrne, für die Finanzminister hänge das Wort Gesundheit meist zusammen mit Ausgaben und einem Fass oder Boden. Für Byrne gibt es Schlüssel-Aussagen, die die neue gesundheits-ökonomische Denkweise charakterisieren sollen: "Die Gesundheit ist eine begrenzte, zerbrechliche und unschätzbare Ressource und gut organisierte Gesundheitspolitik ist eine positive, voraus schauende Investition." Für Arbeit, Innovation und Wirtschaftswachstum sei die Gesundheit ein nicht zu unterschätzender Faktor.

Krankheit doppelt so teuer wie Gesundheit
Außerdem seien die Kosten von Krankheit extrem hoch: "Eine in Deutschland durchgeführte Studie über die Kosten von Herz-Kreislauf-Krankheiten hat ergeben, dass die direkten Gesundheits-Kosten bei 25 Milliarden Dollar liegen, während die indirekten Kosten durch die Minderung der Produktivität bei 48 Milliarden Dollar liegen - also fast dem Doppelten!", sagte Byrne, "auch die Unterschiede in den Wachstumsraten von reichen und armen Ländern sind zur Hälfte zurückzuführen auf Krankheiten und die Demographie." Das seien aber nur die schon bekannten Bedingungen unter denen die Gesundheitspolitik heute zu arbeiten habe, sagte Byrne, "in einem immer älter werdenden Europa brauchen wir gesunde und aktive arbeitende Menschen, um die Produktivität aufrecht zu erhalten." In den USA seien schon erste Anzeichen dieses Problems zu erkennen: Dort wurde errechnet, dass die direkten und indirekten Kosten von Übergewicht, Diabetes und dem Rauchen jedes Jahr jeweils 100 Millionen Dollar übersteigen - und das in einem Land, in dem nur halb so viele Menschen wohnen wie in der erweiterten EU. "Sollten Krankheiten das wirtschaftliche Wachstum weiterhin dermaßen beeinflussen, muss die Verbesserung der Gesundheit der Menschen zur obersten Priorität erklärt werden", forderte Byrne.

Neue EU-Staaten sollen nicht bei der Gesundheit sparen
Die Belastung der Wirtschaften in den neuen EU-Staaten durch die Krankheiten werde sich auf die wirtschaftliche Vitalität in ganz Europa niederschlagen, erklärte Byrne mit Blick auf die Erweiterung der europäischen Union; das könne nur durch Gelder aus dem EU-Strukturfonds ausgeglichen werden. "Wir können und müssen die Investitionen in die Gesundheit fördern, um die wirtschaftliche Entwicklung voran zu treiben!" Nachdem bei der Erweiterung der EU so viel über Konvergenz-Kriterien gesprochen wurde - wie finanzielle, wirtschaftliche und politische Perspektiven - besteht Byrne auf einem neuen Konvergenz-Kriterium - "der Gesundheit."

Weitere aktuelle Informationen und Fotos unter www.ehfg.org/pressecenter/2003.

(Ende)
Aussender: European Health Forum Gastein
Ansprechpartner: Dr. Carmen Kiefer
E-Mail: carmen.kiefer@utanet.at
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