pts20180608010 Medizin/Wellness, Politik/Recht

Der Patient kommt vor der Ökonomie

Presseinformation der Österr. Gesellschaft für Anästhesie, Reanimation und Intensivmedizin (ÖGARI)


Wien/Klagenfurt (pts010/08.06.2018/09:10) Der Zugriff von wirtschaftlichen - vor allem von finanziellen - Rahmenbedingungen auf die Medizin wird immer stärker. In der medizinischen Versorgung von Kranken müssen aber deren gesundheitliche Interessen den absoluten Vorrang haben und behalten, fordern Experten. Die Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM) als Europas größte Ärzte-Fachgesellschaft hat zu diesem Thema vergangenes Jahr den "Klinik Codex: Medizin vor Ökonomie" formuliert und der Öffentlichkeit präsentiert. Seither haben sich zahlreiche andere Fachgesellschaften und regionale Ärztekammern in Deutschland dem Appell angeschlossen. "Wir brauchen in Österreich ein ähnliches Dokument als Leitlinie für ärztliches Handeln im Sinne unserer Patienten. Ein solcher Appell soll aber auch jene 'Rote Linie' für alle anderen Beteiligten am Gesundheitswesen - zum Beispiel für Krankenhausträger und Gesundheitspolitik - sichtbar machen, die wir nicht zu überschreiten bereit sind", sagt Prim. Univ.-Prof. Dr. Rudolf Likar, MSc, (Klagenfurt), Präsident der Österreichische Gesellschaft für Anästhesiologie Reanimation und Intensivmedizin (ÖGARI).

Den Ausgangspunkt der deutschen Internisten für die Formulierung ihres Papiers formulierten die Verfasser so: "Die Ärzteschaft gerät in der Patientenversorgung zunehmend unter Druck, ihr Handeln einer betriebswirtschaftlichen Nutzenoptimierung des Krankenhauses unterzuordnen. Diese Entwicklung macht es notwendig, dem Ökonomisierungsprozess eine auf ärztlicher Ethik und Werten beruhende Haltung im Arbeitsalltag entgegenzustellen."

Die Ökonomisierung der Medizin - im Krankenhaus wie im niedergelassenen Bereich - greift um sich: Nicht das Vorhalten ausreichender Diagnose- und Behandlungskapazitäten auch für Eventualfälle werden von der Gesundheitspolitik gefordert, vielmehr immer größere, kurzfristig belegbare "Effizienz". In den Abrechnungssystemen dominieren immer häufiger medizinisch-technische Leistungen. Verrechnet und bezahlt wird die Technikauslastung, eine Gesprächsmedizin, die in den allermeisten Fällen der Patientenversorgung den Kern ärztlichen Handelns ausmachen sollte, wird hingegen vernachlässigt. Im zunehmend industrialisierten Medizinbetrieb wird diese Gesprächsmedizin oft sogar als störend empfunden. Was aber nicht bezahlt wird, ist in der Gesellschaft oft nichts wert, wird vernachlässigt.

"Auf der Strecke bleibt dabei leider nur allzu leicht der Kranke, dem der Arzt im High-Tech-Hochleistungsbetrieb nicht mehr ausreichend menschlich helfend zur Seite stehen kann. Dem Kranken, seinen Angehörigen und dem gesamten Umfeld geht dann jene begleitende Führung ab, die der Kranke benötigt, um mit den Mitteln der modernen Medizin optimal betreut zu werden", so Prof. Likar.

Der Patient ist kein Kunde

Im Zuge der Ökonomisierung der Medizin sind offenbar auch die Positionen der Handelnden und Betreuten verschoben worden. Aus Ärzten wurden in der gesundheitspolitischen Debatte "Anbieter" von "Gesundheitsdienstleistungen". Statt umfassende, im besten Sinne des Wortes ganzheitliche Hilfe bei der Verhinderung von Krankheit, im Rahmen frühestmöglicher Diagnose von gesundheitlichen Störungen und Krankheiten, in der Therapie mit dem Ziel der Heilung oder der möglichst langen Beherrschung einer Erkrankung zu erwarten, wurde bei den Menschen die am Konsumrausch orientierte Kauf- und Bestellgier auch für medizinische Leistungen gefördert. Die Finanzierung vieler medizinischer Einrichtungen funktioniert wiederum über den Weg der Abgeltung von eng definierten (vor allem technischen) Einzelleistungen, statt den Erfolg der Medizin am erreichten Gesamtwohl des Patienten abzulesen und buchstäblich "zu belohnen".

"Der Patient ist kein Kunde, das Krankenhaus ist kein Wirtschaftsunternehmen", hat die Deutsche Internistengesellschaft zu dem Problem festgestellt. Wenn Krankenhäuser ihre "Umsätze" vor allem dadurch optimierten, dass sie mit dem Patienten technisch 'etwas machten', aber nicht damit, dass sie sich um die Menschen nach Maßgabe des ärztlich-pflegerischen Berufsethos 'kümmerten', verschlechtere das noch dazu die Behandlungsqualität. "Den Patienten kann man nicht als Kunden sehen, dem man eine Ware verkauft", wurde gewarnt.

Aus Sicht der ÖGARI ist es an der Zeit, auch in Österreich einen Schritt zur Mobilisierung von Ärzteschaft und Öffentlichkeit zu gehen. "Die Österreichische Gesellschaft für Anästhesie, Reanimation und Intensivmedizin (ÖGARI) wird diese Initiative ergreifen und ein solches Manifest entwickeln. Das werden wir dann den anderen ärztlichen Fachgesellschaften in Österreich anbieten und sie einladen, sich zu beteiligen. Wir stehen auf dem Boden einer Medizin für die zu uns um Heilung und Hilfe kommenden Menschen, die wir unter Zuhilfenahme wissenschaftlich belegter Methoden und Techniken versorgen. Doch 'Umsätze', 'Budgets', 'Controlling', Leistungsabrechnung nach starren Kriterien und Steuerung nach rein ökonomischen Kriterien gehen am Sinn und am Zweck unseres Gesundheitswesens vorbei", stellt Prof. Likar fest.

Einige der wichtigsten Themen, die in dem Manifest angesprochen werden sollen:
* Interventionelle medizinische High-Tech-Leistungen erfüllen notwendige und jeweils definierte Aufgaben in der modernen Medizin. Sie dürfen nicht durch Leistungs- und Honorierungsregelungen die "sprechende Medizin" mit dem direkten Arzt-Patienten-Kontakt in den Hintergrund drängen.
* Unternehmerische Entscheidungen von Krankenhausträgern müssen immer unter Einbindung des vorhandenen ärztlichen Sachverstandes, der Expertise der täglich in der Patientenversorgung Handelnden, getroffen werden.
* Investitionen in technische Einrichtungen ersetzen nicht die Bereitstellung ausreichender Personalkapazitäten bei Ärzten und Pflegepersonal. Investitionen in die Humanressourcen von Gesundheitseinrichtungen erlauben erst optimalen Gebrauch moderner High-Tech-Medizin.* Kostendruck mit Rationalisierung und Arbeitsverdichtung dürfen nicht ein Ausmaß erreichen, das andere unabdingbare Rahmenbedingungen für eine optimale Patientenbetreuung durch Ärztinnen und Ärzte zerstört: Zeit, Möglichkeiten zur Reflexion des eigenen Handelns, Supervision, Weiterbildung und Forschung.

(Ende)
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