pts20090427001 Kultur/Lifestyle, Bildung/Karriere

"Der individuelle Weg bleibt im Zentrum meiner Arbeit mit dem Instrument"

Interview mit dem Violinen-Virtuosen Georges-Emmanuel Schneider


Paris (pts001/27.04.2009/06:00) Im Februar 2009 führte Jacques Blancpain in Paris mit dem Schweizer Violinenkünstler Georges-Emmanuel Schneider ein Interview. Dabei ging es um den geigerischen Werdegang von Schneider in den letzten sieben Jahren.

(Aus dem Französischen übersetzt)

Georges-Emmanuel Schneider widmet sich seit seinem sechsten Lebensjahr dem Violinen-Spiel. Er wird sechzehnjährig am Mozarteum in Salzburg aufgenommen. Von seiner Wahlheimatstadt Salzburg aus erlebt er eine internationale Solistenkarriere.

J.B: Georges-Emmanuel Schneider, ich hatte Ihnen im Mai 2004 bei Ihrem Rezital mit Eung-Gu Kim in Interlaken zugehört. Damals überwältigte das Publikum und mich selbst Ihre Interpretation der Sonate von César Franck. Im Juli 2006 erlebte ich Sie in Caux/Westschweiz, wo Sie als Solist von Cornelio Sommaruga eingeladen worden waren. Die Feinfühligkeit Ihres Spiels von Beethoven beeindruckte mich ebenfalls. Im August 2008 sind Sie als dritter Geiger eines prominenten Ensembles für zeitgenössische Musik auf dem Podium der Salzburger Festspiele. Ihre Spielkollegen sind hochkarätige Solisten. Das Ensemble spielt das Stück "Erscheinung" von Wolfgang Rihm hervorragend. Widmen Sie sich nun der zeitgenössischen Musik?

G-E.S: Die musikalische Zusammenarbeit mit diesem Ensemble hat mich als Musiker beglückt, da ich zeitgenössische Musik sehr schätze. Sie ist aber keineswegs meine Spezialität.

J.B.: Sie hatten 2003 in der Tonhalle Zürich mit dem Kammerkonzert von Alban Berg das Interesse der Kritik geweckt. Bleibt die zeitgenössische Musik nicht im Zentrum Ihres Interesses? Haben Sie nicht das individuelle Feld des Solisten verlassen?

G-E.S: Nein. Der individuelle Weg bleibt im Zentrum meiner Arbeit mit dem Instrument.

J.B: Geben Sie uns ein Beispiel? Was heisst das konkret?

G-E.S: Im Moment arbeite ich an der Bartok-Solosonate.

J.B: Kein einfaches Werk! Wie kommen Sie dazu?

G-E.S: Während meiner Ausbildung arbeitete ich mit Prof. Mauser, einem ausgezeichneten Musikhistoriker und Forscher, und verfasste meine Magisterarbeit über die Bartok'sche Solosonate. Ruggiero Ricci entfachte meine Leidenschaft für diese Sonate und liess sie mich für den instrumentalen Teil meines Diploms vorbereiten. Nun arbeite ich erneut daran, um meine Interpretation zu verfeinern und das Werk aufzunehmen.

J.B: Sie sind also ein richtiger Schüler von Ricci?

G-E.S: Durchaus, aber nicht ausschliesslich. Ich habe zwei Violinenmeister gehabt. Und diese zwei Professoren repräsentierten zwei entgegensetzte Strömungen. Der erste, Zbigniew Czapcynski, war am damals sowjetischen Leningrad-Konservatorium in der Klasse von Mischa Wajman zusammen mit anderen wie Hirschhorn, Kremer und Gantvarg, ( jetzt noch Professor am St. Petersburger Konservatorium) ausgebildet worden. Er war Konzertmeister am Zürcher Kammerorchester. Seine Person strahlte Herzensgüte aus, aber seine Schule war streng, solide und massiv: die russische Schule und sozusagen der Rolls Royce des Violinenfachs. Mein zweiter Lehrer, Ruggiero Ricci, auch eine ausserordentliche Persönlichkeit, kombinierte eine extreme Strenge während des Unterrichts mit einer humorvollen, grossväterlichen Art in der Freizeit. Er lehrte mich einen instinktiven, leichten und schwungvollen Stil, sowie die Neigung zu harter Arbeit. Nach dem Rolls Royce kam ein kleiner luxuriöser und extrem wendiger Sportwagen mit grosser Geschwindigkeit.

Mein grosses Glück war, dass meine zwei Professoren sich kannten und sich gegenseitig sehr geschätzt haben. Sie hatten mehrfach zusammen gespielt. Als sehr junger Mann musste ich eine Synthese machen und die Verbindung der zwei Musikrichtungen auf dem Instrument schnell in die Tat umsetzen. Aber beachten Sie, dass ich an dieser Synthese heute immer noch arbeite.

J.B: Können Sie etwas von Ihrem eindrücklichsten Moment dieser Entwicklung erzählen?

"Der einschneidendste Zeitpunkt war, als ich die wahre Bedeutung der musikalischen Phrasierung entdeckte"

G-E.S: Der einschneidendste Zeitpunkt war, als ich die wahre Bedeutung der musikalischen Phrasierung entdeckte. Ich spreche nicht vom musikwissenschaftlichen Standpunkt, sondern von dieser besonderen Art von Schablonen, welche dem Künstler erlauben, die Formen und Nuancen zu erkennen, um sie dann im Interpretationsvorgang wiedergeben zu können.

Zu diesem Zeitpunkt war Czapcynski mit 56 Jahren bereits verstorben. Ruggiero Ricci war auch schon nach Kalifornien zurückgekehrt. Ich war violinistisch ganz allein auf mich gestellt. Es war kein Maestro mehr anwesend, um mich zu führen. Es gab schlicht und einfach niemanden, dem ich violinistische Rechenschaft ablegen musste. Diese besonderen Umstände haben mir erlaubt, Präzision, Stärke und Musikalität auf dem Instrument zu entdecken, und mich später mit weiteren namhaften Professoren weiter zu entwickeln.

J.B: Sie haben sich einen Interpretationsstil angeeignet, der sehr persönlich ist. Wie würden sie ihn mit eigenen Worten beschreiben?

G-E.S: Ich pflege einen bildhaften Stil des Violinenspiels, genau wie andere Künstler z.B. die Bildhauer oder Maler figurativ sein können. Ich versuche mein Spiel ständig der Atmosphäre des jeweiligen Werkes anzupassen, um mich in die Welt der Komponisten hineinzuversetzen. Musik kann eine systematische, pompöse, grandiose, teuflische oder ungezwungene Sprache sprechen. Musik hat ihre angenehmen, aber auch unangenehmen Seiten, die man schätzen kann oder eben auch nicht. Das möchte ich an das Publikum weitergeben. Ich bin ein Künstler, der die Emotionen der Musik aufnimmt und diese in den Herzen des Publikums weiter leben lassen möchte.

J.B: Georges-Emmanuel, Sie haben sich einerseits seit Jahren intensiv der Musikproduktion gewidmet. Haben Sie diese Tätigkeit aufgegeben?

"I Sinfonietti 01: eine einmalige, grossartige Erfahrung"

G-E.S: Ja, momentan konzentriere ich mich primär auf mein Instrument. Mit der Gründung im Jahr 2001 und dem Aufbau meines Symphonieorchesters "I Sinfonietti 01" ergab sich eine hervorragende, äusserst dankbare Musiktätigkeit. Die fünf Jahre, während derer ein Mäzenat das Orchester begleitete, waren eine sehr intensive Zeit der musikalischen Freundschaften, der musikalischen Kreativität und der Erfahrungen in der medialen und politischen Welt. Auch entwickelten sich viele der Orchestermitglieder zu herausragenden musikalischen Persönlichkeiten.

J.B: Warum haben Sie das Orchester nicht auch selber dirigiert? Sie waren ja schon faktisch das Haupt Ihrer Musiker?

G-E.S: Das Ziel des "I Sinfonietti 01" Orchesters war eine Karriereeinstiegsmöglichkeit für junge begabte Dirigenten zu schaffen. Ich hatte ausgezeichnete Dirigenten ausgewählt und ich konnte es mir nicht vorstellen, diesen Platz für mich selber zu reservieren.

J.B: Wie konnten Sie die musikalische Leitung dieses Symphonieorchesters überhaupt als Konzertviolinist mit soviel Erfolg übernehmen?

G-E.S: Zuerst war da das fünfjährige Mäzenat, das mich sehr unterstützte. Dann halfen mir auch die Orchestermitglieder und ältere Musiker, die wie eine Grossfamilie um mich waren und die mir ständig interessante Impulse und Ideen gaben. In dieser Periode habe ich auch ein Masterstudium an der Universität Linz absolviert. Meine Magisterarbeit handelte von der Planung der "I Sinfonietti 01", und so entstand eine Wechselwirkung von Theorie und Praxis in diesem Bereich. Diese Ausbildung war mir eine grosse Hilfe. Das ganze war eine einmalige und grossartige Erfahrung. Hingegen war die fast sofortige Reaktion eine Bremswirkung auf meine instrumentale Entwicklung. Jedoch konnte ich von dieser Erfahrung musikalisch sehr profitieren.

J.B: Aus dieser Zeit stammt Ihre Aufnahme von Frank Martin's Polyptyque. Denise de Ceuninck schrieb damals eine eindrückliche Kritik von Ihrem Violinenspiel in La-Chaux-de-Fonds. Ausserdem spielten Sie 2005 in Interlaken ein Solostück aus "Idomeneo", wobei Sie bei dieser bemerkenswerten konzertanten Aufführung der musikalische Produzent waren.

G-E.S: Richtig, aber die Hauptarbeit lag nicht bei der Violine.
Nachträglich war diese Erfahrung unentbehrlich, um das Publikum und seine Erwartungen besser kennen zu lernen, und es war sehr wichtig, mit Menschen zusammen zu arbeiten, die keine Musiker waren, oder nur am Rand mit der Musik zu tun hatten, wie Bühnenbildner, Kameraleute, Regisseure, Organisatoren und Medienschaffende. Es war ungemein interessant, diese Personen und ihre Einstellung zur klassischen Musik kennen zu lernen.

J.B: Warum verzichteten Sie darauf, weitere Mäzenate zu suchen?

G-E.S: Das Fundraising habe ich zum grössten Teil seit 2001 selbst übernommen. Die Erfahrung zeigte, dass das für die "I Sinfonietti 01" eine Vollzeitbeschäftigung geworden war. Umso mehr als ich sehr viel Wert auf die gute Bezahlung meiner Musiker legte.
Dazu kam, dass meine besten Musiker einer nach dem anderen feste Arbeitsplätze in führenden Orchestern in Europa und Asien angenommen hatten. Da war also schon unser erstes Ziel erreicht. Sie wollten aber unbedingt an weiteren Projekten teilnehmen und forderten nun einen Stardirigenten, wie sie es in ihrem Berufsleben gewohnt waren. Ein 5-Jahres-Hauptsponsoringprojekt wurde mit viel Energie ausgearbeitet, scheiterte aber im Vorfeld finanzieller Turbulenzen. Ein solider Vertrag konnte nicht unterzeichnet werden.

J.B: Dieses Projekt ist nun endgültig abgeschlossen?

G-E.S: Ich würde eher sagen auf Eis gelegt. Die "Sinfonietti 01" pflegen weiter lebhafte Freundschaft und treffen sich immer wieder für kleinere Musikprojekte. Das "I Sinfonietti 01"-Symphonieorchester benötigt für seine Projekte einen grosszügigen, sicheren Finanzrahmen, was sich in der jetzige finanzielle Konjunktur einfach nicht organisieren lässt.

J.B: Die ideale Gelegenheit um sich wieder der Violine zu widmen?!

"Ich konnte mir das Leben ohne die tägliche Arbeit auf dem Instrument nicht mehr vorstellen"

G-E.S: So war es. Ich konnte mir das Leben ohne mehrstündige tägliche Arbeit auf dem Instrument nicht mehr vorstellen. Zu dieser Zeit fing das Mozartjahr 2006 in Salzburg an. Ich ergriff die Gelegenheit, auf Einladung meiner Kollegin und Mitschülerin von Ruggiero Ricci, Joanna Kamenarska, zusammen mit zwei anderen Musikern alle 23 Streichquartette von Mozart in Salzburg aufzuführen und durch ganz Europa zu tragen. Das war eine grossartige Kammermusikarbeit. Ich habe sozusagen während eines ganzen Jahres täglich mit W. A. Mozart gelebt. Es war ein grossartiges Gefühl, sich in seinem Wohnhaus auf die Konzerte vorzubereiten, in seinem Schlafzimmer neben seinem holzgeschnitzten Bett. Ein bewegendes Ereignis war auch die Tournee durch Brasilien, die ich für das Quartett organisiert hatte. Wir spielten in kleinen Städten ganz in der Nähe des Amazonasgebiets in überfüllten Konzertsäalen, wo kinderreiche, einheimische Familien aus einfachen Verhältnissen mit grosser Aufmerksamkeit und Enthusiasmus zuhörten und die Musik durchlebten. Am Ende donnerte der Saal vor Applaus, lauten Rufen und freudigem Gelächter - eine überwältigende Erfahrung.

J.B: Der Abschluss des Mozartsjahrs brachte Sie auf neue Horizonte und eine internationale Karriere. Welchen Vorteil sehen Sie in der Alleinarbeit?

G-E.S: In erster Linie kann ich mir meinen Arbeitsrhythmus selbst einteilen: Ich komme mit der Vorbereitung eines Konzerts nie zu kurz. Konflikte kann und muss ich mit mir selbst austragen. Im Konzert verfüge ich über viel Flexibilität, Initiative und Selbstgestaltung dem Pianisten oder dem Dirigenten gegenüber. Allerdings ist ein neues Kammermusikprojekt immer wieder eine sehr willkommene Abwechslung in der solistischen Arbeit.

J.B: Georges-Emanuel, ein Leben ohne Ihre Violine könnten Sie sich nicht vorstellen?

G-E.S: Nein, stellen Sie sich vor, mein erstes Metier war das Violinenspiel. Schon als 5-jähriges Kind sah ich mich als Berufsmusiker und Solist.

(Ende)
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