ptp20150806020 Technologie/Digitalisierung

Agile Softwareentwicklung heute

Diese ADV-Tagung vermittelte ein umfassendes Bild


Eröffnung der Tagung Agilität 2015 (Foto: Michaela Brank/ADV)
Eröffnung der Tagung Agilität 2015 (Foto: Michaela Brank/ADV)

Wien (ptp020/06.08.2015/15:00) Seit dem agilen Manifest 2001 hat sich vieles geändert. Es gibt neue Kommunikationsplattformen wie Skype, webbasierte Kollaborationstools und die Cloud. Softwareauslieferungen erfolgen über das Internet mit minimalem Aufwand und in beliebig kurzen Zyklen etc. Kaum denkbar, dass all das keinen Einfluss darauf hat, wie Softwareentwicklung erfolgreich gestaltet werden kann.

Neben der technischen Revolution hat sich auch die Softwareentwicklungsbranche völlig verändert. Immer noch gibt es die großen Produktlieferanten wie Microsoft, SAP u.a. und große Dienstleister wie accenture, Atos, CSC u.a. und Unternehmen die beides abzudecken versuchen wie IBM, HP u.a. Daneben gibt es allerdings einen neuen Typ von Unternehmen unterschiedlicher Größe, die Apps entwickeln und auf den Markt bringen und deren Geschäftsmodelle sich völlig von dem der klassischen Softwareunternehmen unterscheiden. Deren Vertriebswege sind vor allem der App-Store von Apple sowie Google-Play, sie finanzieren sich nur zu einem relativ geringen Teil über Lizenzen und neue Releases folgen in ungleich kürzeren Abständen aufeinander als bei den "traditionellen" Softwareunternehmen.

Das Wasserfallmodell ist für diese Unternehmen jenseits jeder Relevanz, da sie typischerweise mit möglichst wenig Features so schnell wie nur möglich auf den Markt gehen. Christoph Keese zitiert in seinem Buch "Silicon Valley" einen erfolgreichen Startup-Gründer: "Es geht darum, möglichst rasch ein möglichst gutes Produkt auf den Markt zu bringen. Das Produkt muss schlank sein. Es muss die Kernfunktionen enthalten, mehr nicht." Wenn man die Zusammenarbeit von AnwenderInnen und EntwicklerInnen als zentralen Erfolgsfaktor der Softwareentwicklung sieht, wie es das agile Manifest tat, müssen die Gesetze von 2001 heute neu geschrieben oder zumindest neu interpretiert werden. Die ADV hat schon 2011 eine Tagung zu agilen Vorgehensmodellen durchgeführt und auch der ADV-Rechtstag 2013 hat sich diesem Thema gewidmet. Es war daher angesichts der dynamischen Entwicklung der IT-Branche an der Zeit, eine aktuelle Sicht auf diesen Themenbereich vorzunehmen.

Dr. Gerhard Friedrich, der an beiden Veranstaltungen aktiv beteiligt war, nahm sich dieser Aufgabe gemeinsam mit Patrick Wolowicz an, der als App-Entwickler selbst international erfolgreich tätig ist. Am 10. Juni 2015 fand am Standort der ADV eine gut besuchte Tagung zur "Agilität 2015" statt.

Zum Einstieg berichtete Christian Hassa, Managing Partner bei TECHTALK, aus seiner langjährigen Projektpraxis. Besonders betonte er, dass es darauf ankommt, die richtige Lösung zum richtigen Problem zu entwickeln. Viel häufiger scheitern Softwareprojekte, weil sie das falsche Problem lösen als an einer mangelhaften Implementierung. Die SoftwareentwicklerInnen müssen verstehen, warum die AnwenderInnen eine Anforderung stellen, damit sie ihre Realisierungsvorschläge auf das tatsächliche Anwenderbedürfnis ausrichten können. "Impact-Mapping" ist eine Methode, die das unterstützt. Christian Hassa konnte anhand eines konkreten Beispiels zeigen, wie durch diese Art des agilen Vorgehens viel Aufwand für anfangs wichtig erscheinende Features eingespart werden konnte. Erst in der Auseinandersetzung mit funktionierender Software wird erkennbar, welche Funktionen tatsächlich einen Wertbeitrag für das Geschäft des Kunden, der Kundin leisten und welche bestenfalls nice-to-have sind.

Mag. Franz Hofer von der Raiffeisen Bank International AG gab einen sehr detaillierten Einblick in die agile Projektpraxis seines Unternehmens. Er überraschte die TeilnehmerInnen mit der Aussage, dass die Erfahrung klar gezeigt hat, dass agile Projekte weniger Probleme verursachen als Modelle nach dem Wasserfallmodell. Das Management der Bank hat daher entschieden, die anfängliche Regel, man müsse begründen, warum man agil vorgehen will, umzukehren; ProjektleiterInnen müssen künftig begründen, warum sie nicht agil vorgehen wollen.

Öffentliche Verwaltung
Dass agile Vorgehensweisen auch in der öffentlichen Verwaltung erfolgreich implementiert werden können, konnte Mag. Martin Hackl, Enterprise IT-Architekt Justiz, berichten. Agile Methoden wurden eingeführt, weil Anforderungen sich regelmäßig als unklar und änderungsbehaftet erwiesen und der Teufel bekanntlich im Detail liegt. Das Risiko von Fehlentwicklungen sollte minimiert werden und Anforderungen schneller umsetzbar und auslieferbar sein. Dass im Wasserfallmodell der Umfang fix und Budget sowie Zeitplan variabel sind, während agiles Vorgehen das Budget und den Zeitplan fixiert und den Umfang variabel hält, macht agile Projekte für die öffentliche Verwaltung leichter handhabbar. Allerdings arbeitet das Justizressort nahezu ausschließlich mit der Bundesrechenzentrum GmbH zusammen, was die vergaberechtlichen Probleme eines solchen Paradigmas entschärft. Martin Hackl zeigte, wie die Justiz Agilität mit sogenannten "Architekturzentrischen Ansätzen" ausbalanciert, also in der Architektur top down vorgeht, während die einzelnen Anwendungen im vorgegebenen Architekturrahmen agil (also bottom-up) entwickelt werden.

DI Joachim Niederreiter von Cisco brachte die Erfahrungen eines weltweit operierenden IT-Unternehmens ein. Agiles Vorgehen ist dort selbstverständlich, allerdings musste die Praxis an zunächst banal erscheinende Einflussfaktoren angepasst werden. Die Zeitzonen liegen derart weit auseinander, dass es nur wenige Stunden des Tages für die direkte Kommunikation gibt, die für alle Beteiligten einigermaßen zumutbar sind. Dass Cisco über Kommunikationstools wie z.B. Webex in der eigenen Produktpalette verfügt, macht die Zusammenarbeit in weltweit verteilten Teams ein wenig einfacher bzw. überhaupt erst möglich. Das Scrum Board ist nicht mehr physisch, sondern wird mittels eines Tools via Screensharing gemeinsam geführt. Es gibt dadurch Reibungsverluste, die durch eine Anpassung der konkreten Prozessgestaltung an die handelnden Personen und die projektspezifischen Umstände ausgeglichen werden müssen.

Mit Thomas Schranz (blossom.io) berichtete ein Vertreter der neuen Generation von Softwareentwicklern aus seiner Praxis. Sein Unternehmen besteht seit ca. 3 Jahren, kann aber schon auf Kunden wie Apple, Facebook und Twitter verweisen. Er schilderte das Anforderungsprofil eines "full stack employee", der sich in alle Prozesse eines Softwareunternehmens einbringt. Thomas Schranz selbst beschäftigt sich derzeit vor allem mit dem Vertrieb. Strikte Regelwerke sieht er kritisch, auch Scrum ist nur ein Mittel zum Zweck und man muss sich vor einem "Cargo-Kult" hüten, also der bloßen Nachahmung von erfolgreich erscheinenden Handlungsweisen. Dr. Philip Weihs (PMI Austria Chapter) stellte die umfassenden Initiativen vor, die das weltweit führende Standardisierungsinstitut für Projektmanagement den agilen Methoden widmet. Der PMI Agile Certified Practitioner (PMI-ACP) ist mit weltweit ca. 7.000 zertifizierten Personen gegenüber dem Project Management Professional (PMP) mit über 600.000 Zertifizierten noch in den Anfängen, die Wachstumskurve zeigt aber steil nach oben. Das PMI Austria Chapter veranstaltet auch jährlich einen Agile Practitioner Workshop, der nächste findet am 23. Oktober 2015 in Wien statt.

Dr. Stephan Winklbauer (ahw Rechtsanwälte und Bundesvorstand der ADV) rundete die Tagung mit einer rechtlichen Betrachtung ab. Agile Projekte eignen sich nicht für Werkverträge, damit entstehen rechtliche Probleme wenn es um Nichterfüllung oder Mangelleistung in einem Projekt geht. Auch Haftungsfragen können nicht wirksam abgebildet werden. Durch geeignete Rahmenverträge und Fokussierung auf die vertragliche Regelung der Realisierungsphase kann dem gegengesteuert werden. Ein Patentrezept für den Erfolg agiler Projekte gibt es allerdings genauso wenig wie für andere Formen der Projektabwicklung. Agile Methoden, so wurde allerdings deutlich, bieten in der Praxis bei richtiger Anwendung deutlich bessere Voraussetzungen für den Erfolg als traditionelle Vorgehensmodelle.

von Dr. Gerhard Friedrich (360PM Dr. Friedrich & Partner KG, ADV-Bundesvorstand)

(Ende)
Aussender: ADV Arbeitsgemeinschaft für Datenverarbeitung
Ansprechpartner: Mag. Michaela Brank
Tel.: +43 1 5330913-71
E-Mail: michaela.brank@adv.at
Website: www.adv.at
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