pte20160408002 Politik/Recht, Kultur/Lifestyle

Kollegger: "Europa nicht zur Festung aufrüsten"

Flüchtlinge brauchen mehr als Unterkunft, Kleidung und Sprachkurse


Wien (pte002/08.04.2016/06:00) "Was Flüchtlinge kurz- und längerfristig benötigen, kann nur dadurch geklärt werden, dass man diese selber über ihre Bedürfnisse zu Wort kommen lässt", meint Harald Kollegger http://haraldkollegger.at , Autor, Facharzt für Neurologie und Psychiatrie sowie Professor an der Medizinischen Universität Wien, gegenüber pressetext. "Besserwisserische Empathie-Defizite und die Aufrüstung Europas zu einer Festung gegen die Bedürftigsten sind jedenfalls der falsche Weg."

"Tut es weh, wenn der Kragen platzt?"

Das Leid, das die Menschen innerhalb und außerhalb Europas tagtäglich erleben, wird auch bei den Europäischen Toleranzgesprächen in Fresach http://fresach.org ein Thema sein. Schmerzexperte Kollegger wird dort am 12. Mai 2016 einen Workshop mit dem Titel "Schmerzerleben und Schmerzunfähigkeit: Welche Rolle spielt das Schmerzgedächtnis bei Lernprozessen?" leiten.

"Unbequeme oder sogar schmerzhafte Lernprozesse sind die einzigen, die der Mühe wert sind. Ein Übermaß an Leid andererseits begünstigt das Vergessen. Welche Handlungsspielräume es zwischen trivialem Lernen und leidvollem Vergessen gibt, soll in diesem Workshop erarbeitet werden", skizziert er die Inhalte, die er in Fresach behandeln will. Zur Beantwortung der im Workshop-Titel gestellten Frage wird er neurobiologische Erkenntnisse und alternative Logik-Systeme heranziehen. Dabei wird Kollegger auch weitere Fragen aufwerfen, wie etwa: "Tut es weh, wenn der Kragen platzt?"

In puncto schmerzhafte Lernprozesse wird Europa auch dazu angehalten sein, mit der Aufgabe fertig zu werden, die ankommenden Flüchtlinge zu versorgen und unterzubringen. "Die Kolonialgeschichte hat den reichen Ländern Europas eine Bringschuld auferlegt, die weit über das hinausgeht, was derzeit angeboten wird", meint Kollegger. "Unterkunft, Kleidung, Sprachkurse, schön und gut, doch nur wer Elend erlebt hat, kann wirklich beurteilen, wie Gerechtigkeit und Liebe auszusehen haben."

"Das Einfache einfach tun"

"Werkzeuge zur geistigen Bewältigung unserer Zeit müssen erst noch geschmiedet werden", zeigt sich Kollegger kritisch. "Wenn wir weiterhin die Welt oder die Krisen so sehen, wie wir sind, und nicht so, wie sie sind, werden wir den Verzicht auf die Anstrengung, dumm zu bleiben, nicht leisten können und unerträgliche Zustände für alle heraufbeschwören."

Kollegger spricht in diesem Zusammenhang von der "inspirierten Unterlassung", einem Begriff, den er in der gegenwärtigen Literatur vermisst. "Das Einfache einfach zu tun, anstatt es kompliziert zu vermeiden, ist gänzlich aus der Mode gekommen. Ironie und herablassende Wahrnehmung hingegen werden gerne herangezogen, um die allgemeine Angstunfähigkeit zu übertünchen und die drei Hauptquellen künstlerischer und sozialer Inspiration, nämlich Staunen (AH), Erkennen (AHA) und Lachen (HAHA), aus dem Blick- und Handlungsfeld zu rücken."

"Unter diesen Umständen wundert es mich nicht, dass kaum jemanden bewegt, was wichtig ist", gibt Kollegger zu bedenken. Er ist Vizepräsident des Österreichischen P.E.N.-Clubs http://penclub.at und verfasst selbst Romane, Essays und Lyrik. Über sein jüngstes Buch mit dem Titel "Wenn nichts mehr geht, geh mit - Über Heiterkeit in widrigen Zeiten" wird er auch im Rahmen der Europäischen Toleranzgespräche in Fresach berichten.

(Ende)
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