pte20111129005 Bildung/Karriere, Medizin/Wellness

Hirnforscher: "Menschheit ist nicht zu dumm"

Gesellschaftliche Versteifung auf Intelligenz birgt Gefahren


Klüger als wir: IQ als alleiniger Maßstab ist gefährlich (Foto: Spektrum Verlag)
Klüger als wir: IQ als alleiniger Maßstab ist gefährlich (Foto: Spektrum Verlag)

Münster (pte005/29.11.2011/06:15) Die Intelligenz an sich sowie Techniken, die zu mehr Intelligenz verhelfen sollen, stehen in unserer Gesellschaft hoch im Kurs. Doch weder sind die Fortschrittsversprechen der Wissenschaft bisher eingetroffen, noch besteht tatsächlicher Bedarf für eine künstliche Erhöhung der Intelligenz. Das behauptet der Arzt, Hirnforscher und IT-Spezialist Thomas Grüter http://thomasgrueter.de in seinem Buch "Klüger als wir? Auf dem Weg zur Hyperintelligenz". Gegenüber pressetext erklärt der Experte, warum Skepsis angebracht ist.

Hype ohne konkrete Erfolge

"Es gibt eindeutig einen Markt für intelligenzsteigernde Mittel", betont Grüter. Chemische "Neuroenhancer", auch "Gehirndoping" genannt, fallen darunter, jedoch auch Ansätze, bei denen man das Gehirn ähnlich wie bisher schon bei Parkinson-Patienten oder bei Cochlearimplantaten stimulieren will. Hoch im Kurs sind zudem Simulationen des Gehirns im Computer, wie etwa das Leuchtturm-Projekt "Human Brain" http://humanbrainproject.eu vorzeigt: Immerhin hat es die Ankündigung, das menschliche Gehirn im Computer nachzubilden, in die Endausscheidung im Rennen um die EU-Forschungsmilliarde geschafft.

Die meisten Jubelmeldungen sind jedoch zu hoch angesetzt, kommt Grüter zum Schluss - unisono mit einem aktuellen Bericht der TA Swiss (pressetext berichtete: http://pressetext.com/news/20110525002 ). "Im Nachbau scheiterte man bisher schon beim Rattenhirn. Pillen, die intelligenter machen, gibt es nicht, sondern bloß Aufmerksamkeits-Förderer wie Ritalin oder Amphitamine, doch auch hier übersteigt die Wirkung nie jene von starkem Kaffee. Falsch sind derartige Ansätze deshalb, da es weder eine 'Intelligenzbremse' im Gehirn gibt, die man bloß beseitigen muss, noch ein einzelnes Intelligenz-Gen."

Grenzen des Messbaren

Vielmehr könnte die künstliche Steigerung der Gehirnfunktion auch Gefahren mitbringen, warnt der Forscher, wobei er Parallelen zur menschlichen Evolution zieht. "Einiges spricht dafür, dass der Mensch erst durch sein größeres Gehirnvolumen für bipolare Störungen und Schizophrenie anfällig wurde. Wird das sorgfältig ausbalancierte Gleichgewicht des Gehirns gestört, könnte sich das Risiko für Geisteskrankheiten erhöhen." Viel eher denkbar sei ein nebenwirkungsfreies Hochschrauben der Gehirnleistung durch ständiges Training wie im Sport.

Vor der Machbarkeit sei jedoch die Grundabsicht der Intelligenzsteigerung zu hinterfragen, betont Grüter. Denn so hoch auch die Intelligenzmessung über PISA-Studien im Kurs steht und immer mehr zum wichtigsten Maßstab für Schulsysteme wird, so beschränkt sei deren Aussagewert. "Erhoben werden hier nur die zählbaren Einzelposten der Gehirnleistung, die jedoch kaum den späteren Erfolg im Beruf und Leben vorhersagen. Dasselbe gilt auch für die zahlreichen Assessment-Bewerbungstests in Großunternehmen, die gegenüber dem Abiturzeugnis kaum Mehrwert bringen."

Intelligenz kann schaden

Tugenden wie Tapferkeit, Treue, Weisheit und Demut bringen kein Ansehen mehr, während Intelligenz übermäßig wichtig ist: Das beklagte der Philosoph Hans Magnus Enzesberger 2008 in einem Essay über die Intelligenz. Grüter stimmt ihm zu, denn: "Führungsqualität sowie gesellschaftlich wichtige Werte wie Fleiß, Beharrlichkeit oder Ritterlichkeit werden von IQ-ähnlichen Erhebungen nicht erfasst."

Die zunehmende Versteifung auf die Intelligenz sei deshalb eine Fehlentwicklung, betont der Autor. "Der Menschheit fehlt es eindeutig nicht an Intelligenz, um ihre großen Herausforderungen zu meistern, sondern an Vernunft, Weisheit, Einsicht und Augenmaß. So lange man die Intelligenz nur für den eigenen Vorteil nutzt, ist diese sogar schädlich."

(Ende)
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