pte20100814009 Tourismus/Reisen, Kultur/Lifestyle

Iran: Im Land des Schweigens

Nach jüngsten Sanktionen ist Tourismus praktisch "stillgelegt"


Teheran / F e a t u r e (pte009/14.08.2010/13:55) UNO-Sanktionen wegen der unnachgiebigen Atompolitik, Repressionen nach innen und Drohungen nach außen - so zeigt sich der Iran im Sommer 2010 in den internationalen Medien. Dabei ist das diktatorisch regierte Land zwischen Kaspischem Meer und Golf von Persien alles andere als ein Entwicklungsland, zeigt ein pressetext-Augenschein vor Ort. Landwirtschaft, Infrastruktur und Industrie stehen gut da, die reichen Kultur- und Naturschätze sind überdies ein immenses Potenzial für künftige Devisen, die Jugend ist hochmotiviert. Mehr als 50 Prozent der 75 Mio. Iraner sind unter 30 Jahre und - längst reif für die Demokratie.

Bisher wird der Iran fast ausschließlich von Rucksack-Touristen und Forschungsreisenden besucht, die vor allem wegen der zahlreichen Kulturschätze und archäologischen Ausgrabungen kommen. Nach dem Willen Teherans sollte sich das Land im Orient zu einem Zentrum des Massentourismus entwickeln, was aufgrund der landschaftlichen Gegebenheiten, der Strände am Persischen Golf und am Kaspischen Meer oder der zahlreichen Berg- und Wüstengebiete leicht möglich, aber derzeit nicht wahrscheinlich ist.

Investitionen abgesagt

Laut letzten verfügbaren Statistiken der Welttourismusorganisation UNWTO http://www.unwto.org/statistics/index.htm erzielte der Iran im Jahr 2004 rund 1,66 Mio. Ankünfte und 860 Mio. Euro Wertschöpfung, womit ein Marketshare in Südasien von 1,1 Prozent erreicht wurde. Die Ausgaben pro Ankunft lagen bei 520 Euro, damit platzierte sich der Iran knapp vor Nepal, Pakistan und Bangladesh.

Noch kurz vor dem umstrittenen Wahlgang im Juni 2009 jubelte das iranische Staatsfernsehen darüber, dass sich die Zahl der ausländischen Touristen zwischen 2004 bis 2007 auf über zwei Mio. verdoppelt habe. Esfandiar Rahim-Mashaei, Chef der iranischen Tourismusorganisation ICHHTO, sprach von laufend verbesserten Rahmenbedingungen und der Einführung des "elektronischen Visums" für Besucher. Das Land plane über 32 Mrd. Dollar in den Tourismus zu investieren, um damit bis 2025 zumindest zwei Prozent des nationalen Einkommens zu erwirtschaften. http://www.presstv.ir/detail.aspx?id=70768§ionid=351020108

Das Jahr 2008 war laut Einschätzung des Iranischen Bergsteigerverbandes (IMF) auch das bisher beste in Besucherzahlen auf dem Damavand, dem höchsten Berg des Landes. Über 10.000 Bergsteiger haben den 5.671 Meter hohen Vulkan bestiegen, davon ein großer Teil aus Europa. Im Jahr eins nach den Präsidentschaftswahlen, im August 2010, sieht alles ganz anders aus: Keine Ausländer mehr weit und breit, die Zahl der Gipfeltouren auf ein Minimum geschrumpft, die Thermen am Fuße des Berges menschenleer, Bergführer und Gastronomen arbeitslos, kommentiert Bergführer A. Soltani gegenüber pressetext. http://www.pressetext.at/news/100814002/

Museen halten die Stellung

Ähnlich ist die Situation in der Millionenstadt Teheran. Während draußen vor dem berühmten Tor des Baq-e Melli die Verkehrshölle tobt, irren in dem auf eine Etage verkleinerten Nationalmuseum einige Hochschüler umher, um antike Artefakte nachzuzeichnen. Das nebenan liegende, erst vor 15 Jahren eröffnete Islam-Museum ist seit Monaten wegen Renovierungsarbeiten geschlossen. In der Lobby des berühmten Teppich-Museums, das noch zu Schah-Zeiten erbaut wurde, referiert ein Professor vor Studenten, die klimatisierten Räume dahinter gähnen vor Leere. Auch hier ist der Zutritt zur ersten Etage nicht mehr möglich.

Unterschiedliche Angaben über die Öffnungszeiten erschweren ganz generell den Besuch von Sehenswürdigkeiten in Teheran. Oft wird der Besuch mit aktuellen Renovierungsarbeiten oder Feiertagen verweigert, oder die Tore sind einfach geschlossen, ohne weitere Begründung, so das Coin Museum, das Nationale Juwelenmuseum mit dem Pfauenthron im Keller der Bank-e Markazi-ye Iran, das wenn überhaupt nur zwei Stunden am Tag aufgesperrt wird, oder die Imam Khomeini-Moschee im Zentrum des Großen Bazars. Dabei sind die zuständigen Verantwortlichen ausgesprochen höflich und freundlich. http://www.cbi.ir/page/1475.aspx

Der Stadt muss zugute gehalten werden, dass in den vergangenen Jahren viel getan wurde, um die Besucherzahlen anzukurbeln. So etwa wurde der Golestan-Palast im Teheraner Regierungsviertel komplett renoviert. http://www.golestanpalace.ir/En_Site/collections/E-history.htm Der Museumskomplex aus der Qadjaren-Zeit mit seinen märchenhaften orientalischen Spiegelsälen, Windtürmen und Wasserspielen aus dem 19. Jahrhundert wäre normalerweise ein absoluter Besuchermagnet: Doch derzeit dient er eher als Rückzugsrefugium für Intellektuelle. Rund um den Palast sind Straßensperren errichtet, die den Zugang zu den angrenzenden Ministerien verwehren, mit vollbewaffneten Wachen davor: Fotografieren verboten. Die Plätze sind wie leergefegt, einige Straßen weiter donnert der Verkehr fünf- und sechsspurig.

Der Große Bazar

Teppichhändler Said im großen Bazar von Teheran zeigt Fotos von besseren Tagen, Visitenkarten von großen Namen. Der österreichische Kammerpräsident Christoph Leitl habe ihm zwei Teppiche abgekauft, auch der österreichische Bundespräsident Thomas Klestil war da. Trotzdem denkt er nach drei Generationen daran, seinen Job aufzugeben und umzusatteln - nicht unbedingt wegen der Politik, wegen der galoppierenden Inflation oder den ausbleibenden Ausländern. Die Nachfrage nach seiner Ware ist praktisch tot, sagt er gegenüber pressetext. Und nicht nur das: Neue Ware aus den Manufakturen des Landes wird es bald nicht mehr geben, denn die Teppichknüpferinnen haben keine Lust mehr, für einen Jahreslohn von 150 Euro Teppiche zu produzieren.

Chinesen im Hotel

Das ehemalige Hotel Intercontinental am Laleh Park zählt zu den ersten Adressen der iranischen Hauptstadt. Jeden Abend werden die Banketträume des Hauses von einer ausgelassenen Hochzeitsgesellschaft der Teheraner Oberschicht frequentiert; die Zimmer hingegen sind spärlich besetzt. In der verlassenen Lobby laufen die TV-Nachrichten in persischer Sprache, an der Rezeption langweilen sich die Portiers, sogar deutschsprachig wenn gewünscht. Die Nationalitäten der Gäste sind indes eingeschränkt. Vor allem Chinesen sitzen am Frühstückstisch. Bezahlt wird ausschließlich in Cash, die UNO-Sanktionen haben längst dazu geführt, dass Kreditkarten und Traveller Schecks nicht mehr angenommen werden können. Wer nicht ausreichend Bargeld mit hat, darf sich von Freunden auslösen lassen, "oder muss da bleiben", wie es der Cashier am Empfang augenzwinkernd formuliert. http://www.holidaycheck.de/hotel-Reiseinformationen_Hotel+Laleh-hid_80873.html

Regionalflughafen Teheran

Der Iran verfügt über ein ausgedehntes Linienflugnetz, mit dem alle größeren Städte des Landes zu erreichen sind, auch das Straßennetz ist gut ausgebaut und meist in tadellosem Zustand. Vor einigen Jahren hat die Millionenstadt mit dem Imam Khomeini Airport einen neuen und leistungsfähigen Flughafen eröffnet, der zu einem Knotenpunkt im Nahen Osten werden sollte. http://de.wikipedia.org/wiki/Flughafen_Teheran-Imam_Khomeini Davon ist der Flughafen im August 2010 weit entfernt. An einem Samstag gibt es ganze zehn Abflüge (zwischen 6 Uhr morgens und 9 Uhr abends), acht davon in Destinationen der unmittelbarer Nachbarschaft, die restlichen zwei nach Wien und Peking.

Der Flug mit Iran Air nach Wien soll um 11:15 Uhr starten - doch weit und breit keine Maschine in Sicht. Zuerst die Verschiebung auf 14:30 Uhr, dann auf 16:30 Uhr. Am Ende der Start um 18:05 Uhr. Keine Erklärungen vom Flughafenpersonal, kein Wort des Bedauerns im Flieger - so als ob es die Verspätung gar nicht gegeben hätte. Von den iranischsprachigen Passagieren ist lediglich zu hören, dass wohl die jüngsten UNO-Sanktionen schuld seien. Möglicherweise dürften ältere Maschinen nicht mehr starten, vielleicht sei der Luftraum für iranische Maschinen gesperrt worden. Vielleicht gab es aber auch einen Deffekt, oder die verfügbare Maschine wurde nicht mehr betankt. Es wird viel spekuliert in diesen Tagen. Die offiziellen Stellen schweigen.

Eine Auswahl von Fotos zu diesem Beitrag steht zum Download bereit auf
http://www.fotodienst.at/browse.mc?album_id=3224

Weitere pressetext-Beiträge zum Iran

Davand: Im Schatten des Klimawandels
http://www.pressetext.de/news/100814002/

Fotodienst-Album: Neuschnee am Damavand
http://www.fotodienst.at/browse.mc?album_id=3222

(Ende)
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