pte20171016011 Medien/Kommunikation, Kultur/Lifestyle

Stinkefinger als Symbol für Hasstiraden im Internet

Jan Skudlarek hält mit Buch ein Plädoyer gegen verrohte Sitten im Netz


Buch
Buch "Der Aufstieg des Mittelfingers" von Jan Skudlarek (Foto: rowohlt.de)

Reinbek (pte011/16.10.2017/10:30) Mit seinem neuen Sachbuch "Der Aufstieg des Mittelfingers" ist der Berliner Autor Jan Skudlarek auf der Frankfurter Buchmesse http://buchmesse.de und im deutschen Medienwald auf reges Interesse gestoßen. Der Untertitel "Warum die Beleidigung heute zum guten Ton gehört" deutet an, dass der promovierte Philosoph die vulgäre Stinkefinger-Geste als Aufhänger nutzt, um einen weitaus größeren Kontext zu erschließen und Ursachen für heutzutage übliche, alltägliche Diskriminierungen in sozialen Netzwerken zu ergründen.

Skudlarek greift einen zweifelhaften gesellschaftlichen Trend auf, spricht gar vom "toxischen Tonfall" im "Trollhaus" sozialer Medien. In 13 Kapiteln fächert er das Thema über 256 Seiten auf, entwirft eine Philosophie der Beleidigung (Motto: "Ich kränke, also bin ich"), bezieht soziale und strafrechtliche Normen ein und hinterfragt das Verständnis von Meinungsfreiheit und "Political Correctness", wobei er für soziale Achtsamkeit plädiert. Eine Kernfrage, die er sich und seinen Lesern stellt: Macht das Internet Populismus und Hetze wieder salonfähig? Und inwiefern ist es als leicht handhabbares, breit streuendes Medium für offen artikulierte Hetztiraden mitverantwortlich?

"Entköperte Kommunikation"

Wichtigstes Merkmal der Beleidigungskultur ist Skudlarek zufolge die Unfähigkeit, seine Reflexe zu kontrollieren. Abgesehen davon, dass Akteure oft anonym agieren und strafrechtlich für ihre Hassbotschaften bislang kaum belangt werden, beobachtet Skudlarek auf Twitter oder Facebook eine "entköperte Kommunikation", in der die Hemmschwelle gegenseitiger Beleidungen weitaus niedriger ist als bei realen Begegnungen. Seine Folgerung: Wer sein Gegenüber sinnlich nicht wahrnehmen kann, dem fehlen der körperliche Zugang zu dieser Person und das Empathievermögen.

Daher falle es vielen Nutzern leicht, am heimischen PC loszuwüten und Beleidigungen zu äußern, die sie sich offline in dieser Form nicht trauen und für die sie sich im persönlichen Gespräch oftmals sogar schämen würden. So handelt es sich im Falle der verbalen Aggressionen auch um eine ebenso simple wie effektvolle Methode, um ohne Diskussion und Sachkenntnis öffentlich Luft ablassen zu können. Der Autor spitzt bewusst zu, wenn er schreibt, dass zivilisierte Menschen dabei zu "Monstern" werden und sich mit ihren Beleidigungen im Moment der Handlung im Recht fühlen.

"Habe ich doch nicht so gemeint"

Der Fall Renate Künast bestätigt Skudlareks These: Die deutsche Grünen-Politikerin klingelte mit einer Reporterin an Türen von Leuten, von denen sie zuvor auf Facebook übel beschimpft worden war. Damit konfrontiert, reagierten diese mit Äußerungen wie "Huch, Sie sind ja ganz nett" oder "Habe ich doch nicht so gemeint".

Entscheidend für die Bedeutung von Worten sowie die anschließende Bewertung von Wutschreibern und ihrer Beleidigungen ist laut dem Autor stets der Kontext, in dem kommuniziert wird. Was ist passiert und warum? Gibt es eine Vorgeschichte oder ein Nachspiel? Obwohl alle Nutzer die gleichen Rechte haben, ist der Zusammenhang entscheidend für die Einordnung des Geschehens.

Mut haben zur aktiven Gegenwehr

Der 31-Jährige legt einen pointierten, vielschichtigen Band am Puls der digitalisierten Zeit vor, der Denkanstöße für den Umgang mit einem einem unerfreulichen, weit verbreiteten Phänomen gibt. Rasche Lösungen für das Dilemma kann Skudlarek erwartungsgemäß nicht liefern, aber er formuliert konstruktive Vorschläge. Betroffenen rät er dazu, aktiv zu handeln, zur Not mit strafrechtlichen Mitteln. Die Plattformen fordert er dazu auf, ihre User dazu zu animieren, aktiv zu werden gegen die vergiftete Stimmung, die vielerorts aufgrund hasserfüller Bemerkungen die Kommentarspalten dominiert. Oft sei dafür eine lautstarke Minderheit verantwortlich, die das Gesprächsklima entgegen einer großen Mehrheit kontaminiere.

Kinder sind Online-Hasspredigten oftmals besonders hilflos ausgesetzt (pressetext berichtete: http://pte.com/news/20161117027 ). Bleibt die Frage, wie Leitplanken für respektvolles Verhalten im Internet konkret aussehen und umgesetzt werden können. Ein juristischer Vorstoß ist das Netzwerkdurchsetzungsgesetz, nach dem verbale Tritte unter die Gürtellinie mit Sanktionen und Strafen geahndet werden können. Das Gesetz ruft freilich auch Kritiker auf den Plan, die eine Beschneidung der Meinungsfreiheit darin sehen, wenn es Plattformen dazu bewegt, gegen diffamierende Online-Hetze vorzugehen. De facto kann ohnehin jeder Betroffene eine Strafanzeige beim Staatsanwalt stellen wegen Beleidung oder Volksverhetzung, um Täter zur Rechenschaft zu ziehen.

Zum Buch:
Jan Skudlarek: Der Aufstieg des Mittelfingers. Warum die Beleidigung heute zum guten Ton gehört. Rowohl Verlag, Reinbek bei Hamburg 2017. 252 Seiten, 9,99 Euro (D), 10,30 Euro (A), auch als E-Book erhältlich.

(Ende)
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