pte20120804002 Tourismus/Reisen, Umwelt/Energie

Alpen-Idylle längst Rummelplatz gewichen

Buch dokumentiert Zerstörung des alpinen Naturraums seit 1950


Alpen: Goldgrube des Tourismus am Kapazitätslimit (Foto: oekom Verlag)
Alpen: Goldgrube des Tourismus am Kapazitätslimit (Foto: oekom Verlag)

München (pte002/04.08.2012/06:05) Die vergangenen 50 Jahre haben die Alpen gründlicher verändert, als es alle Jahrhunderte zuvor vermochten. Karl Stankiewitz, langjähriger Mitarbeiter u.a. bei der Süddeutschen Zeitung und anderen Medien, dokumentiert diesen Wandel im bei oekom erschienenen Buch "Wie der Zirkus in die Berge kam - die Alpen zwischen Idylle und Rummelplatz". "Von der Idylle hat der Kommerz des Massentourismus wenig übrig gelassen", so der Buchautor im pressetext-Interview.

Kanonen statt Frau Holle

Zweifel am "Echten" und "Unberührten" der Tourismuskataloge kommt auf, schreiben BUND-Präsident Hubert Weiger und -Artenschutzreferentin Christine Margraf in ihrem Vorwort, "wenn die Buntheit der Wiesen einem Einheitsgrün weicht und hinter der romantischen Almhütte der Düngesack steht. Wenn der Winter nicht mehr von Frau Holle, sondern aus Kanonen kommt." Die Liste der Zerstörungen sei eindeutig länger als jene der Schutzmaßnahmen, und Mensch und Natur würden an diesen Entwicklungen leiden.

Die Alpenerschließung ist eine Geschichte der Sessel- und Seilbahnen, Fluss- und Speicherkraftwerke, Hotels und Wintersportorte, der Hochalpenstraßen und Autobahnen mit Brücken und Tunnels und zuletzt der Schischaukeln und Erlebnisparks. Wie sich die fehlende Sorge und Verantwortung ausgewirkt hat, zeigt Stankiewitz anhand der eigenen Berichterstattung ab 1950. "Anfangs nahm ich an der Faszination für die gigantischen Bauprojekte teil, bis der Wintertourismus in den 1970ern eskalierte", erzählt der heute 83-Jährige.

Natur schlägt immer öfter zurück

Die Infrastruktur machte die Ressource Schnee selbst im Sommer für Millionen Touristen nutzbar. Die Kosten der kompletten Technisierung waren hoch: Almen und ganze Landstriche sind heute verödet, die Lawinen- und Hochwassergefahr stieg, zahlreiche Tier- und Pflanzenarten starben aus und vielerorts wurde das Wasser knapp. "Die Schlagzeile 'Die Natur schlägt zurück' häuft sich, doch handelt die Natur nicht selbst. Kritik an Schneekanonen ist heute aber leise geworden, und für die Energiewende soll bald auch der letzte noch wilde Bach herhalten", warnt der Journalist.

Der Druck auf die Alpen nimmt zu statt ab, analysieren Weiger und Margraf: Tourismus und Verkehr, Klimawandel, die Renaissance der Wasserkraft und sogar der bis vor kurzem undenkbare, großdimensionierte Maisanbau in Tälern tragen dazu bei. Investitionen haben freie Bahn, sofern Profite oder Fördergelder locken, wobei von der kurzfristigen Vermarktung der Alpenkulisse nie die Bevölkerung, sondern nur externe Investoren profitieren. Als anschauliches Beispiel nennt der Buchautor hier die Open-Air-Konzerte auf über 2.000 Meter.

Alptraum Ballermann

"Wir sind von nachhaltiger Alpenpolitik weiter entfernt denn je", konstatieren die BUND-Experten. Sie fordern den Erhalt der Regionalität und Besonderheit der Alpen statt weiterer Zerstörung. Stankiewitz vermisst bei Schutzbestrebungen Koordination und einheitliche Linie, zudem fehle der Politik grundsätzlich das Interesse für die Alpen. "Vielerorts ist Alpentourismus nur noch Wanderzirkus und Showbusiness. Was droht, ist 'Ballermann in den Alpen' und weitere Expansion für den Sommerbetrieb, da der Skilauf schon lange stagniert."

Dabei gibt es jedoch Möglichkeiten nachhaltigen Handels, für die das Buch zahlreiche Umsetzungen und Initiativen auflistet. "Das Konzept des sanften Tourismus, der auf Großanlagen verzichtet, bietet einen sinnvollen Kompromiss. Die großen Modelle sind freilich die Errichtung der alpinen Nationalparks", so Stankiewitz. Unmissverständlich zeigt sein Werk, wie viel Nachdruck seitens der Landes- und Lokalpolitiker sowie der Zivilgesellschaft dazu nötig ist.

(Ende)
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