pte20120627034 Umwelt/Energie, Politik/Recht

Rio+20 scheitert an globaler Ungleichheit

Klimaforscherin: "Lehren aus der Finanzkrise nicht gezogen"


Blauer Planet:
Blauer Planet: "Mit weniger besser auskommen", fordern Experten (Foto: NASA)

Rio de Janeiro/Wien (pte034/27.06.2012/13:50) Nach der ersten Enttäuschungswelle über den Rio+20-Gipfel läuft die Suche nach den Ursachen des Scheiterns. "Die Ergebnisse verdeutlichen, wie gegenläufig die Prioritäten der reichen und armen Länder sind", so das Urteil von Philip Campbell, Chefredakteur der Zeitschrift "Nature" http://nature.com . Am besten zeige die Stadt Rio de Janeiro selbst diesen Missstand: Villen und Luxusstrände findet man hier Tür an Tür mit Favelas-Elendsvierteln. Dieser auch globale Kontrast sei schuld am Ausbleiben von Mut und Verbindlichkeit.

Wiederholung statt Neues

49 Seiten dünn ist das Abschlussdokument "The future we want" http://bit.ly/LLeWgJ , das die UN-Konferenz Rio+20 vergangenen Freitag verabschiedet hat. Es schafft Grundlagen für die Formulierung von Zielen nachhaltiger Entwicklung, die 2015 nach Auslaufen der UN-Millenniumsziele angepeilt werden sollen. Weiters bekräftigt es Anstrengungen zur Reduktion des Konsums sowie zur Verbesserung der Energiesysteme, ruft zu einer "grüneren" Wirtschaft auf und fordert einen internationalen Mechanismus zum Erhalt der Biodiversität in den Meeren.

Schon im Vorfeld waren die Erwartungen sehr niedrig und wichtige Politiker sagten die Teilnahme ab, darunter auch Angela Merkel, die Schweizer Bundespräsidentin Eveline Widmer-Schlumpf und Österreichs Umweltminister Nikolaus Berlakovich. Die Reaktionen lagen auf selber Linie und lauteten von "visionslos" und "völlig unzureichend" bis hin zu "Begräbnis des Umweltschutzes". Aufschlussreich ist die Textanalyse der Wiener Ökonomin Sigrid Stagl: Das Dokument verwendet 14 Mal "reiterate" (wiederholen), 60 Mal "affirm" (bestätigen) und 99 Mal "support" (unterstützen) - doch nur fünf Mal "we will" (wir werden).

Wachstum für Süden Priorität

Die Ziele der G77-Entwicklungsländer unterscheiden sich deutlich von jenen der reichen Welt, glaubt Nature-Experte Campbell zu erkennen. "Die Armut ist heute unsere größte Herausforderung, nicht der Klimawandel oder die Umwelt", formulierte etwa Brasiliens Chefverhandler Luiz Alberto Figueiredo Machado. So blockierten die G77-Vorschläge globaler Umweltgrenzwerte und beanstandeten auch die "Green Economy", da der Rahmen wirtschaftlicher und sozialer Entwicklung fehle. Laut Indiens Premier Manmohan Singh sind inklusives Wachstum und steigendes Pro-Kopf-Einkommen "Imperative der Entwicklung".

"Die Industrieländer sind zu beschäftigt mit ihren eigenen Wirtschaftskrisen, um neue und größere finanzielle Verpflichtungen für den Süden einzugehen. Im Abschlusstext fehlen konkrete Antworten auf drängende Fragen der Entwicklungshilfe", analysiert Campbell. Fortschritte habe es zwar bei den Hunderten von Begleitveranstaltungen in Rio gegeben etwa zu erneuerbarer Energie, zudem gab es Zugeständnisse von über 513 Mrd. Dollar für Initiativen nachhaltiger Entwicklung. Diese Bottom-Up-Aktionen seien aber zu wenig oder kommen vielleicht zu spät, so der Wissenschaftler.

Gegenseitiges Ausspielen falsch

Strikt gegen ein Ausspielen von Armut und Klimawandel spricht sich die Klimaforscherin Helga Kromp-Kolb aus. "Sehr schnell könnte der Klimawandel alle Anstrengungen der Armutsbekämpfung auffressen", so die Expertin gegenüber pressetext. Zumindest viele NGOs hätten es bisher verstanden, dass beide Probleme gemeinsam angegangen werden müssen. Der Verweis auf die Finanzkrise sei als Entschuldigung des Nordens nicht angebracht. "Die Krise zeigt, dass das bisherige System nicht zukunftsfähig ist. Derzeit wollen die Industriestaaten jedoch bloß den Zustand vor der Krise wiederherstellen."

(Ende)
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