pte20110107002 Sport/Events, Tourismus/Reisen

Messner: "Am Mount Everest herrscht Stadtkultur"

Geführte Tourengeher werden in ihren Erwartungen enttäuscht


Mt. Everest: Höchster Berg ist heute zum Tourismusziel geworden (Foto: Wikimedia/Bernhard Goldbach)
Mt. Everest: Höchster Berg ist heute zum Tourismusziel geworden (Foto: Wikimedia/Bernhard Goldbach)

Bozen (pte002/07.01.2011/06:10) "Die meisten Menschen, die den Mount Everest besteigen wollen, treiben Prestigegedanken und die Rekordjagd." Das betont die Südtiroler Bergsteig-Legende Reinhold Messner http://www.reinhold-messner.de im pressetext-Interview. Sich selbst will er davon nicht ausnehmen. "Mit dem Rekordberg wird viel Humbug betrieben. Jeder will selbst Rekorde brechen und der jüngste, älteste oder erste Besteiger seiner Kategorie sein. Dabei hat eine Everest-Besteigung heute kaum mehr etwas mit Alpinismus und Grenzgängertum zu tun", so Messner.

Keine Abwechslung vom Alltag

Forscher um Gülnur Tumbat von der San Francisco University bestätigen dies. Sie untersuchten, wie zahlende Kunden von Everest-Expeditionen den Gang auf den höchsten Berg der Welt erleben. Viele missen den erhofften Gemeinschaftsgeist und die Kameradschaft, berichten sie im "Journal of Consumer Research". "Viele wollen dem bürokratischen Alltag durch eine neue, befreiende und transzendentale Erfahrung entkommen. Was sie am Everest vorfinden, ist jedoch erst recht wieder Wettbewerb, Individualismus und Statusdenken", berichten die Forscher.

Everest ist längst Schipiste

Das gegenseitige Aufpassen sei noch immer das Gesetz der Bergkultur. "In Seilschaften gibt es eine enge Bindung, auch da das eigene Überleben oft vom Überleben des anderen abhängt. Das gilt ebenso für Bergbauern, denn wer oben am Berg wohnt und Wasser abschöpft, weiß, dass das Folgen für die weiter unten Lebenden hat. Brennt ein Hof ab, helfen Bauern einander. In der Stadt weiß hingegen der aus dem vierten Stock nicht, wer im 22. Stockwerk lebt", so Messner. Dank der Infrastruktur sei man kaum mehr aufeinander angewiesen.

Der Mount Everest ist in Messners Augen längst städtisch geprägt. "Die präparierte Piste ist mit einer Schipiste vergleichbar. Sie führt vom Tal bis auf den Gipfel, wobei die geführten Gruppen von einem Stützpunkt zum nächsten unterwegs sind. Zwar bildet jede Gruppe einen Clan, der für sich selbst aufpasst, mit anderen Clans hat man jedoch nichts zu tun. Obwohl Leute zur gleichen Zeit den Everest besteigen, kennen sie einander nicht, da bis zu 50 Gruppen pro Tag unterwegs sind."

Grenzerfahrung braucht Gefahr

99 Prozent der Everest-Besteiger sind für Messner "Touristen". "Durch die Präparierung sind die Erfahrungen verloren gegangen, die der Everest liefern könnte. Längst ist das Risiko auch durch Maßnahmen wie etwa die genaue Wettervorhersage auf ein Minimum reduziert." Anstrengend sei der Berg auch so, weshalb sich viele seiner Erklimmer Ressourcen erkaufen und etwa die schweren Sauerstoffflaschen von Sherpas tragen lassen.

Alle diese Maßnahmen hält der Profi-Bergsteiger für legitim. Allerdings verkomme jede Bergexpedition ohne Herausforderung zur Attrappe. "Damit archaische Grenzerfahrungen möglich sind, braucht man die Grundelemente Gefahr, Schwierigkeit und Exposition. Alpinismus beginnt dort, wo der Tourismus und dessen Infrastruktur aufhören und wo man sich freiwillig in eine schwierige, gefährliche Position bringt, für die man selbst die Verantwortung übernehmen muss", so Messner.

(Ende)
Aussender: pressetext.redaktion
Ansprechpartner: Johannes Pernsteiner
Tel.: +43-1-81140-316
E-Mail: pernsteiner@pressetext.com
Website: www.pressetext.com
|