pte20091003004 Medizin/Wellness, Kultur/Lifestyle

Unversöhnlichkeit als psychische Krankheit

Fachtagung zur Verbitterungsstörung in Folge von Trauma-Erlebnissen


Eine Trennung kann Menschen manchmal ein Leben lang verbittern lassen (Foto: aboutpixel.de/Goenz)
Eine Trennung kann Menschen manchmal ein Leben lang verbittern lassen (Foto: aboutpixel.de/Goenz)

Wien (pte004/03.10.2009/06:15) Verbitterung kann in verstärkter Form ähnlich wie Angst zu einem krankheitsähnlichen Zustand führen, der Betroffene schwer beeinträchtigt und Behandlung erfordert. Diesem noch sehr jungen Gebiet der Psychiatrie widmet sich am 10. Oktober erstmals eine Fachtagung in Wien http://rpp2009.org , die von der Sigmund-Freud-Privatuniversität Wien in Kooperation mit dem Institut für Religiosität in Psychiatrie und Psychotherapie veranstaltet wird. "Analog zur posttraumatischen Belastungsstörung, die bereits gut erforscht ist, gibt es auch eine posttraumatische Verbitterungsstörung", berichtet Raphael Bonelli, Psychotherapeut und Koordinator der Tagung, im pressetext-Interview.

Anders als bei der Belastungsstörung bildet sich die krankhafte Verbitterung meist infolge von weniger massiven Ereignissen, die jedoch Menschen in ihren zentralen Lebensbereichen betreffen. "Das kann eine Kündigung sein, die nach jahrelanger Tätigkeit am selben Arbeitsplatz erfolgt, die Trennung in einer Partnerschaft oder auch gebrochene Treue. Betroffene fühlen sich häufig ungerecht behandelt und sehen nur, dass es den anderen besser geht", so Bonelli. Aus dem ständigen Hadern mit dem widerfahrenen Schicksal könne sich eine lang anhaltende psychische Krankheit entwickeln. "Alles Unglück wird auf ein Unrecht in der Vergangenheit zurück geführt, das nicht mehr änderbar ist, das aktiv in Erinnerung bleibt und an dessen Wunden ständig gerissen wird." Dieses Ereignis müsse unter objektiver Betrachtung gar nicht ungerecht sein, werde jedoch so erlebt.

Die lange, manchmal sogar lebenslange Dauer der Verbitterung kommt laut Bonelli dadurch zustande, dass Betroffene oft in einer passiven Opferrolle verharren. "Es bildet sich eine Unversöhnlichkeit, die das Verstehen der anderen Seite unmöglich macht." Aus Trotz gehen viele nicht in Therapie, sondern verbohren sich im eigenen Unglück. "Das hat zwar den positiven Nebeneffekt, dass das Umfeld Mitleid bekundet, doch bietet das bloß eine bittere und kurze Befriedigung. Zudem verstärkt Mitleid in diesem Fall bloß die passive Haltung und erschwert aktive Änderungen." Die Krankheit weite sich auch in andere Lebensgebiete in zerstörerischer Weise aus, wobei die Symptome von Selbstzweifel, Appetitlosigkeit, Depressionen, Phobien und Aggressionen bis hin zu Selbstmordgedanken reichen. "Viele vereinsamen und gehen nicht einmal mehr auf die Straße", so der Wiener Psychiater.

Überwinden kann man Verbitterung durch das Loslassen. "Verbitterte wollen die absolute Gerechtigkeit hier und jetzt erleben. Man kommt jedoch erst durch die Erkenntnis weiter, dass diese Gerechtigkeit nicht existiert und alles Erlebte bloß relativ ist." Der Berliner Psychiater und Fachtagungs-Redner Michael Linden, der 2003 als erster das Krankheitsbild beschrieben hat, schlägt für die Behandlung eine sogenannte "Weisheitstherapie" vor. "Es geht darum, das erfahrene Unrecht zu ertragen statt an ihm zu verzweifeln. Dabei versucht man unter anderem, die Perspektive zu wechseln", so Bonelli. Entsprechend der klassischen Methodik wird der Konflikt zunächst aufgezeichnet und dann in verschiedenen Sichtweisen dargestellt, deren Existenz von Erkrankten zuvor oft geleugnet wurde. Der Therapeut berührt jedoch nicht den inhaltlichen Grund der Verbitterung, sondern andere, scheinbar unlösbare Situationen. Diese lassen leichter erkennen, dass ein Weg aus dem Unglück heraus existiert.

Ein Schwerpunkt der Fachtagung liegt auf der Vergebung. "Bisher wurde dieser Aspekt in Europa kaum wissenschaftlich behandelt, vermutlich aus Angst, dass der Begriff automatisch Religion impliziert. Verzeihung ist jedoch in erster Linie ein psychischer Akt statt ein religiöses Phänomen", betont der Tagungsorganisator. Verzeihung als "beste Form des Loslassens" beschreibe einen Prozess, der im wesentlichen zwei Voraussetzungen brauche. "Erstens ist die Erkenntnis nötig, dass man auch selbst Fehler macht. Erst dadurch wird man bereit, auch dem Täter falsches Handeln zugestehen zu können. Zweitens brauche man eine Portion Großmut, um tatsächlich ein 'Schwamm drüber!' sagen zu können."

Gibt es auch bisher keine Schätzungen, bei wie vielen Menschen die Verbitterungsstörung auftritt, trifft man sie in der psychotherapeutischen Praxis laut Bonelli dennoch sehr häufig an. Besonders sei die Störung in Großstädten verbreitet. "Im anonymen Lebensstil der Stadt sind die Menschen weitaus verletzlicher als in einem stabilen sozialen Umfeld", vermutet der Experte. Mit im Spiel sei auch die Tatsache, dass die Störung besonders dort auftritt, wo Menschen ihr Lebensglück an eine einzige Sache hängen und diese dann verlieren. "In der Stadt ist die Zahl der 'Worcaholics' besonders hoch. Da geht die Welt öfter unter, sobald eine Kündigung ausgesprochen wird."

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