pts20080911011 Kultur/Lifestyle, Medien/Kommunikation

Wie in 125 Jahren aus der Wacht am Rhein eine Touristenattraktion wurde

Am 28. 9. wird die legendenumrankte Germania 125 Jahre alt


Rüdesheim am Rhein (pts011/11.09.2008/10:00) In einem weit verbreiteten Schulbuch des Jahres 2008 schaut die Germania immer noch nach rechts, zum früheren "Erbfeind Frankreich". Doch das tat sie weder bei ihrer Einweihung am 28. September 1883 noch wird sie es tun, wenn in Anwesenheit des hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch in diesem Monat ihr 125-jähriger "Geburtstag" gefeiert wird. Das 12,38 Meter hohe Standbild der Germania ist Teil des nach ihrem Standort auf dem Niederwald (ca. 200 Meter oberhalb von Rüdesheim) benannten Nationaldenkmals. Es ist mit insgesamt 38.14 Metern höher als die Bavaria (19,34 Meter) aber wesentlich kleiner als das Hermannsdenkmal (53,46) im Teutoburger Wald. Wie kaum ein anderes Denkmal symbolisiert die Germania die Schwierigkeiten, die Deutsche immer noch mit ihrem Geschichtsverständnis haben. Vor allem dann, wenn ein Thema so mystifiziert und mit Vorurteilen oder falschen Informationen belegt ist, wie das der Germania. Dabei bietet die "eiserne Dame", die in München aus 550 Zentnern Spandauer-Bronzeschrott gegossen wurde, genügend spannenden und unterhaltsamen Stoff für einen mehrteiligen Dokumentarfilm:

Ihr Erbauer, der 1828 im sächsischen Mittweida geborene Bildhauer Johannes Schilling, hatte sie in seinem ersten Entwurf friedlicher dargestellt, behaglich sitzend auf einem schlichten Thron, ähnlich der Bavaria. Auf Druck des Berliner Denkmal-Komitees wandelte Schilling die Germania in eine walkürenhafte Schlachtenjungfrau, die neben einem (gesenkten) Schwert auch mit einem "kugelsicheren" Blechkorsett ausgestattet ist. Die damalige Entscheidung, eine Frau als oberste Denkmalsfigur zu wählen, gleicht einer kleinen Revolution angesichts der damals noch herrschenden gesellschaftlichen Diskriminierung der Frauen. Denn diese hatten auch noch zur Bauzeit der Germania von 1877 bis 1883 weder ein Wahlrecht noch waren sie, von wenigen Ausnahmen abgesehen, zum Studium an Universitäten zugelassen.

Reichskanzler Bismarck konnte sich für das Niederwalddenkmal nie erwärmen und blieb der Grundsteinlegung wie der Einweihungsfeier fern. Es sah sich und den Kaiser nicht gebührend präsentiert - und die Germania, die schon 1848 in der Paulskirche als Symbol eines aufgeklärten Deutschland galt, war ihm ohnehin suspekt. Bismarck konnte aber weder ihre Erbauung noch ihre nachfolgende große Popularität verhindern, zu der Millionen von Postkarten und Geldscheinen beitrugen, die mit ihrem Konterfei versehen waren. Die Germania trägt übrigens die Gesichtszüge eines jungen Mädchens aus Sachsen - Clara, auch "Clärchen" genannt. Sie war die Tochter von Johannes Schilling. Bei der Denkmals-Einweihung war Clärchen 19 Jahre alt und durfte als eine der Ehrenjungfrauen am 28.9. den damals bereits 86jährigen Kaiser nebst großem Gefolge begrüßen.

50 Pfennige verhinderten, dass dieser Tag, der 28. September 1883, auch heute noch einen wesentlich größeren Teil in den Geschichtsbüchern der Deutschen einnimmt. Denn zwei Herren, Emil Küchler und Franz Reinhold Rupsch, die den Kaiser bei der Hinfahrt zur Einweihungsfeier in die Luft sprengen wollten, hatten statt einer wasserunempfindlichen Kautschukzündschnur nur eine einfache geteerte Hanfschnur gekauft. Diese war 50 Pfennige billiger, was dem Gegenwert von zwei Litern Bier entsprach. Aber da das berühmte "Kaiserwetter" erst zum Zeitpunkt der Einweihung pünktlich einsetzte und bei der Hinfahrt der Kaiserkutsche und der 112 folgenden Kutschen es noch in Strömen regnete, sprang der Funke zum Dynamit nicht über und damit scheiterte auch das insgesamt fünfte (belegte) Attentat auf Kaiser Wilhelm I., an diesem Tage sogar gänzlich unbemerkt. Aus Frust jagten die Attentäter kurz darauf einen Teil der Rüdesheimer Festhalle in die Luft, wobei glücklicherweise niemand ernstlich verletzt wurde. Dafür gingen zahlreiche Gläser und Flaschen zu Bruch und ein großer Festbraten wurde als "Gulaschkanone" zweckentfremdet. Anführer der Attentäter war August Reinsdorf (1849-1885), der damals bekannteste Anarchist Deutschlands. Eine Schienbeinverletzung verhinderte, dass er selbst das Attentat durchführte. Erst etliche Monate später kam man den Attentätern auf die Spur. Reinsdorf und Küchler wurden am 7. Februar 1885 in Halle mit dem Fallbeil enthauptet, der junge Rupsch wurde begnadigt.

Der Regisseur Günter Gräwert drehte darüber für das ZDF 1975 den Historienfilm "Ein deutsches Attentat". Mit Marius Müller-Westernhagen als Sattlergeselle Franz Rupsch, Vadim Glowna als Anarchist August Reinsdorf und Hans Helmut Dickow als Schriftsetzer Emil Küchler. Viele Szenen entstanden vor der Originalkulisse 200 Meter oberhalb von Rüdesheim am Rhein.

125 Jahre nach der von einem Attentat ungetrübten Einweihungsfeier genießen jedes Jahr etwa 1,5 Millionen Besucher den herrlichen Blick auf den Rheingau, auf das 200 Meter tiefer liegende Rüdesheim, auf das linksrheinische Bingen, auf die Nahe-Mündung und den Mäuseturm - und kehren dabei häufig der Germania den Rücken. Diese wirkt zwar immer noch wuchtig, hat aber viel Patina angesetzt und ist, nicht zuletzt durch ein den Gästen nicht sichtbares Loch im 3,70 Meter großen Bronzekopf, zu einem Sanierungsfall geworden. Nach der Restaurierung der Wege und der Terrasse rund um das Denkmal bis zum diesjährigen Jubiläumsfest, wird die Germania deshalb einen Teil des kommenden Jahres von einer Bauplane verdeckt sein.

Die "eiserne Dame" wird geduldig auch dieses Schicksal ertragen, wie zuvor schon 60 Jahre Königreich Preußen, 14 Jahre Weimarer Republik, 12 Jahre Nazi-Diktatur, nach 1945 vier "herrenlose" Jahre, und seit 1949 die Bundesrepublik Deutschland, mit dem Bundesland Hessen als ihren Besitzer. Ebenso geduldig wird sie es ertragen, dass auch weiterhin vieles von ihr behauptet wird, angesichts dessen sie gerne ständig ihr 1500 Kilogramm schweres Haupt vor Ärger verhüllen würde. Zum Beispiel, dass das deutsche Volk gerne und ausgiebig freiwillig für ihre Erbauung in die Taschen der Gründerjahre gegriffen hätte. Alles Propaganda. Gespendet wurde nicht einmal die Hälfte der zuletzt 1.190.812,63 Goldmark. Kosten sollte sie ürsprünglich nur 250.000. Kostenexplosionen im öffentlichen Bau haben seitdem weiter Schule gemacht.

Für eine satte Refinanzierung dieser Kosten sorgten in der Vergangenheit bis hin zur Gegenwart Millionen von Touristen, die von der jetzt bereits restaurierten Terrasse des Denkmals einen der schönsten Ausblicke genießen, die Deutschland, ja Europa, zu bieten haben. Eine Seilbahn befördert die Besucher aus der ganzen Welt bequem "über den Reben schwebend" hinauf zu ihrem Podest. Die Gäste blicken dort neugierig auf den Text der 1840 anlässlich der Rheinkrise von Max Schneckenburger verfassten "Wacht am Rhein". Deren vierte Strophe wurde von Johannes Schilling 1883 bewusst weggelassen. Sie ist die einzige, die den "Erbfeind Frankreich" direkt anspricht.

Bildmaterialien mit Original-Fotos von der Einweihungsfeier 1883 oder auch Szenenbilder aus dem ZDF-Film "Ein deutsches Attentat" können beim nachfolgenden Pressekontakt angefordert werden, ebenso zahlreiche weitere Hintergrund-Informationen zur Geschichte der Germania wie auch Interview-Wünsche mit Nachfahren von Johannes Schilling, mit führenden Germania-Forschern wie Dr. Ralph Erbar oder mit Heiko Weber, dem Leiter des Schilling Museums in Mittweida. Beigefügt als pdfs sind dieser Pressemitteilung das Festprogramm vom 26. bis 28. September 2008 wie auch ein ausführlicher Text des Mainzer Historikers Dr. Erbar über die Entstehung und Bedeutung des Niederwalddenkmals.

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