pts20170616016 Bildung/Karriere, Kultur/Lifestyle

Vier Stufen zur Versöhnung

Gewaltfreie Konfliktlösung an der Praxisvolksschule der PH Niederösterreich


Baden (pts016/16.06.2017/13:45) Seit dem vergangenen Schuljahr bietet Religionslehrer Roman Ottenschläger den Kindern der Praxisvolksschule die Möglichkeit, ihre Konflikte im Rahmen eines begleiteten Mediationssprozesses aufzuarbeiten. In ihrer Bachelorarbeit hat die Lehramtsstudentin Tatjana Berger diese "Giraffenstunden" evaluiert. Fazit: über Gefühle reden ist auch für Kinder nicht leicht, aber die Gefühle des Gegenübers zu verstehen, hilft bei der Konfliktlösung sehr.

"...wenn du traurig oder wütend bist", "...wenn du dich gestritten hast", "...wenn du dich versöhnen willst" - mit ganz konkreten Anlässe lädt Religionslehrer Roman Ottenschläger auf seiner Bürotür zur "Giraffenstunde" ein. Zweimal wöchentlich arbeitet er mit Schüler/innen der Praxisvolkschule gegen Voranmeldung Konflikte im Rahmen eines Mediationsprozesses auf. Im Jahr 2012 hat Ottenschläger, der neben seiner Tätigkeit als Religionslehrer auch freiberuflich als Psychotherapeut arbeitet, mit dem Schulprojekt "Wolfsgeheul und Giraffenherz" an der PVS begonnen. 2013 wurde das Projekt mit dem "Fairness Award" ausgezeichnet. Seit dem Vorjahr bietet er die Giraffenstunden an.

Schritt für Schritt zur Lösung des Konflikts

Basierend auf der Theorie von Marshall B. Rosenberg nähern sich die beiden Konfliktparteien im Laufe der Stunde in vier Stufen einander an. "Auf der ersten Stufe geht es darum, den Konflikt genau zu schildern", erzählt der Mediator. Das jeweils andere Kind hört dabei aufmerksam zu und unterbricht nicht. Die Schilderung soll dabei kein "Wolfsgeheul" werden, also mit Vorwürfen wie "Du hast..." oder "Du bist..." gespickt sein, sondern in "Giraffensprache", also in wertschätzender Sprache, erfolgen. Es geht um die Schilderung der eigenen Beobachtungen, mit Formulierungen wie etwa "Wenn ich sehe, dass du mein Federpennal runter geschmissen hast, dann...".

Auf der zweiten Stufe schildert das Gegenüber seine Gefühle, die auf der Beobachtungsebene ausgelöst wurden - natürlich wieder in der "Giraffensprache". Im dritten Schritt geht es um die Klärung der eigenen Bedürfnisse. Auf der vierten und letzten Stufe sollen die beiden Konfliktparteien schließlich eine konkrete und erfüllbare Bitte äußern, erklärt Ottenschläger das Modell. Den Prozess unterstützend hat der Therapeut eine eigene Holztreppe, die "Friedenstreppe" besorgt, auf der die Kinder im Laufe der Mediation nach oben und aufeinander zugehen. "Die Kinder wiederholen auf jeder Stufe, was das Gegenüber gesagt hat. Dies fördert die Empathie", so der Religionslehrer und Psychotherapeut. Beim Formulieren in Giraffensprache hilft eine Giraffen-Handpuppe.

Gefühle äußern ist nicht einfach - aber hilft

Etwa 80 Giraffenstunden begleitet Ottenschläger pro Schuljahr. Lehramtsstudentin Tatjana Berger hat im Rahmen ihrer Bachelorarbeit dieses Angebot evaluiert und dabei mit den teilnehmenden Kindern gesprochen. Im Rahmen ihrer Defensio, also der Präsentation ihrer Bachelorarbeit zum Abschluss ihres Studiums, stellte die Sonderschullehrerin kürzlich die Ergebnisse ihrer Befragung vor. Fast alle der befragten Kinder gaben dabei an, dass diese Form der Konfliktbearbeitung für sie sehr hilfreich war.

Trotz der Hilfestellungen durch Mediator, Handpuppe und Treppe sei es aber nicht immer leicht, über die eigenen Gefühle zu sprechen, wie ein Kind berichtet: "Manchmal ist es sehr schwer, die Gefühle zu sagen." Gleichzeitig wächst jedoch das Verständnis für die Wichtigkeit, die eigenen Gefühle zu äußern: "Ja, wenn ich was fühle, dann sage ich es auch und wenn es halt auch etwas ist, was ein bisschen gemein ist und mich stört und dann sage ich es halt schon, weil sonst kann man das Problem ja nicht lösen."

Und auch wenn es schwerfällt, über die eigenen Bedürfnisse zu sprechen, der Erfolg wird durch das Konzept der Giraffenstunde schnell sichtbar, wie eine andere Untersuchungsteilnehmerin erklärt: "Bei meiner Freundin hat es sich dann schon erfüllt während wir auf der Treppe gestanden sind. Und es ist mir dann auch schon besser gegangen."

Weitere Infos zum Projekt: https://praxisvs.ph-noe.ac.at/mainmenu/projekte-und-schwerpunkte/gewaltfreie-kommunikation.html

(Ende)
Aussender: Pädagogische Hochschule Niederösterreich
Ansprechpartner: Walter Fikisz
Tel.: +43 650 4721023
E-Mail: walter.fikisz@ph-noe.ac.at
Website: www.ph-noe.ac.at
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