pts20150916016 Technologie/Digitalisierung, Forschung/Entwicklung

Technologieoutlook und IT-Trends als Chance für Europa: Digital Society and Economy 4.0


Zürich (pts016/16.09.2015/14:15) Zum bereits neunten Mal lud am 8.9. 2015 das Future Network gemeinsam mit der Schweizer Informatik Gesellschaft, ICTswitzerland, der OCG, dem AIT, SCCH und CON*ECT Eventmanagement zum Technologieoutlook an der Universität Zürich ein. Branchenvertreter und Wissenschaftler diskutierten rege zum Schwerpunkt-Thema "Digital Society and Economy 4.0". Welche Herausforderungen und Chancen bieten Big Data und Industrie 4.0? Welche gesellschaftlichen Implikationen bringt das Internet der Dinge mit sich?

Einmal mehr eröffnete auch in diesem Jahr Zukunftsforscher Moshe Rappoport vom IBM Research Labor in Rüschlikon mit dem IBM Global Technology Outlook die gut besuchte Konferenz. Im Mittelpunkt des Ausblicks in die technologische Zukunft stand ein großes Thema: Daten. Das Wachstum an erzeugten und anfallenden Daten ist weiterhin ungebremst, sowohl im Business- wie im privaten Bereich. Während die strukturierten Daten von Unternehmen mit Datenbanken-Applikationen mittlerweile gut erfasst und verarbeitet werden können, explodiert das Wachstum an unstrukturierten Daten wie Bilder, Videos und Social-Media-Postings geradezu. Bis zu 44 Zettabyte (44 Milliarden Terabyte) an Daten sollen bis zum Jahr 2020 anfallen.

Daten als Motor der Gesellschaft

"90 Prozent der in den letzten zehn Jahren erzeugten Daten wurden nie erfasst oder analysiert. Die Daten sind sozusagen an den Rand und weg vom Computing gerutscht", erläutert Rappoport. IT-Manager müssten ihre Hardware-, Software- und Service-zentrische Denkart ändern und alles auf diesen Datenpool ausrichten. "Welche Daten aus welchen Applikationen habe und brauche ich? Wie und wo - Stichwort Cloud - soll ich sie verarbeiten und analysieren? Wie kann mein Unternehmen bzw. auch die Gesellschaft aus der Verwertung dieser Daten einen Vorteil gewinnen?", zeigte Rappoport den Weg vor.

Das Kuratieren der Daten sei eine große Herausforderung, zumal die Geschwindigkeit ein wesentlicher Faktor sei, um die richtigen Rückschlüsse zu ziehen. Für TV-Großereignisse wie die Super Bowl in den USA werden mittlerweile Werbeclips in Echtzeit je nach Spielstand angepasst, um die Stimmung der Kunden genau zu treffen. Die Beschäftigung mit Daten bietet dem IBM-Forscher zufolge aber auch große Chancen. "Das Phänomen nennen wir Data Gravity. Wo immer man mit Daten arbeitet, ziehen diese neue an, entstehen dadurch ganz viele neue Zugänge und Ideen, die man vorher so gar nicht in Erwägung gezogen hat. Die IT-Manager und Datenwissenschaftler der Zukunft müssen folglich bodenständige Träumer sein", sagt Rappoport.

Digitaler Binnenmarkt

In der Person von Public Policy Manager Anton Aschwanden stattete auch Google Schweiz/Österreich dem Netzwerktreffen einen Besuch ab. Aschwanden wies mit der Erfolgsgeschichte des österreichischen Unternehmens Runtastic auf die Chancen der Digitalisierung für junge Firmen und Start-ups hin. Aber auch etablierte Unternehmen könnten mit innovativen Geschäftsmodellen punkten, zeigte sich der Google-Manager überzeugt, der für mehr Selbstbewusstsein und einen positiveren Zugangs Europas warb.

"Es gibt viele die Innovationen in Europa vermissen und klagen, dass wir von den USA und Asien abgehängt werden. Das sehe ich überhaupt nicht so, wir haben mehr Fortune 500 Unternehmen als jeder andere Kontinent und auch bei den Start-ups, die über eine Milliarde Dollar wert sind, sind wir gut vertreten", so Aschwanden. Die geplanten Initiativen der EU in Richtung digitaler Binnenmarkt seien gut und wichtig, allerdings dürfe dies nicht in einer Abschottung gegenüber Zukunftsmärkten wie Asien, Afrika oder auch Brasilien münden.

Damit Europa an vorderster Front mitmischen könne, müsse eine Kultur des Scheitern und Wiederaufstehens nach Rückschlägen etabliert werden. Und der Weg zum Erfolg führe zudem vor allem über Bildungsmaßnahmen. Google selbst habe sich verpflichtet bis Ende 2016 eine Million Europäer zu digitales Know-How auszubilden und zum wirtschaftlichen Wachstum Europas beizutragen.

Big Data als Chance

Mit interessanten Studienergebnissen zum Thema Big Data und dessen Einfluss auf Geschäftsmodelle konnte Herbert Stauffer von der IT-Beratungsfirma BARC aufwarten. Dass datengetriebene, digitale Geschäftsmodelle disruptiv seien, würden unzählige Beispiele wie Airbnb im Tourismus, Uber als Taxi-Alternative, aber auch 3D-Printing statt traditionellen Ersatzteil- und Reparaturservices zeigen. In der Praxis hätten schon viele Firmen den Mehrwert von Big Data erkannt. In vielen Fällen würden die Erwartungen sogar weit übertroffen - etwa was das Entwickeln von Strategien, aber auch die Kostenersparnis und die Geschwindigkeit von Entscheidungen betrifft.

Aber auch einige Einschränkungen zeigte Stauffer auf: "Big Data wird nur dann zum durchschlagenden Erfolg, wenn das oberste Management vorangeht, und der Kunde im Mittelpunkt aller Bemühungen bleibt." Aktuell ortet er bei vielen Unternehmen aber noch massive Know-how-Defizite sowie große Herausforderungen beim Thema Sicherheit und Datenschutz. "Sowohl bei Big Data als auch beim Zukunftsthema Industrie 4.0 hinkt Europa anderen Regionen noch hinterher", warnte Stauffer.

Das Problem der Generation 45+

Andreas Kaelin von ICTswitzerland machte in seinem Vortrag auf die überdurchschnittliche Arbeitslosenquote von über 45-Jährigen in der Schweizer IT-Branche aufmerksam. Denn während die IT-Branche im Schnitt um 0,9 Prozent weniger Arbeitslose als andere Branchen aufweise, sei dies bei älteren Arbeitnehmern genau umgekehrt. Dies sei angesichts des fehlenden IT-Fachkräftemangels, der bis 2022 bis zu 30.000 Personen ausmache, besonders prekär. Derzeit könnten viele offene Stellen durch ausländische Fachkräfte gedeckt werden. Setze sich der Trend fort, bekomme die Branche langsam, aber sicher jedoch ein Glaubwürdigkeitsproblem.

Als größtes Problem sieht Kaelin die fehlende systematische Personalentwicklung im IKT-Bereich, die im Vergleich zu anderen Branchen zu wünschen übrig lasse. Viele Mitarbeiter im IKT-Bereich würden sich über viele Jahre spezialisieren. Falle der Einsatzbereich weg, der oft mit einer bestimmten Architektur bzw. Software-Umgebung verknüpft sei, blieben auch die Fachkräfte auf der Strecke. Durch Kündigungen, die fehlender kontinuierlicher Weiterbildung geschuldet seien, verliere man aber auch die Erfahrung, die gerade ältere Mitarbeiter beitragen könnten.

"Wir müssen das vorhandene Potenzial besser ausschöpfen", lautete Kaelins Appell an die Branche. Manfred Nemeth vom AMS Österreich berichtete anschließend über die Situation und die Strategie im Nachbarland, diese besonderen Herausforderungen zu meistern.

Gesellschaftliche Fragen

Der Rest des spannenden Tages war von inspirierenden Vorträgen und Debatten geprägt, die einen Blick über den Tellerrand hinaus wagten. Welche gesellschaftlichen Herausforderungen bringt das digitale Datenzeitalter? Welche sozialen, wirtschaftlichen und ethischen Implikationen ergeben sich durch die dritte industrielle Revolution, die zur digitalen Gesellschaft und Ökonomie 4.0 führt?

Universitätsprofessor Dirk Helbing von der ETH Zürich stellte seine Vision von einem "planetaren Nervensystem als Bürgernetzwerk" vor. Ausgangspunkt ist das Internet der Dinge, das in den kommenden zehn Jahren geschätzte 150 Milliarden Sensoren verbinden wird. Neben den in Smartphones verbauten Sensoren wie GPS, Mobilfunk, Bluetooth, NFC, Kameras, Beschleunigungs-, Entfernungs- und Bewegungssensoren können in Zukunft durch neue smarte Objekte vom Kühlschrank bis zu Smartwatches auch Temperatur, Luftdruck, Sauerstoffgehalt, Luftqualität und beliebige andere Sensordaten gewonnen werden.

Bürgernetzwerk für mehr Demokratie

Anstatt das Feld des Datensammelns und Datenauswertens ausschließlich den großen Technologiekonzernen zu überlassen, schwebt Helbing und seinem Team mit dem "Nervousnet" ein Bürgernetzwerk vor, in dem diese Milliarden von Datensätzen zusammenlaufen (siehe http://nervousnet.info ). In einem ersten Schritt können User ihre mit dem Smartphone gesammelten Sensordaten freiwillig dort zur Verfügung stellen. Welche Sensordaten geteilt werden, entscheiden die User. Das Speichern ist dezentral über verteilte Datenserver vorgesehen, für einen besseren Datenschutz können auch eigene Server verwendet werden.

"Über so ein Netzwerk kann ein Erdbeben entdeckt und Warnungen an Freunde geschickt werden. Sensornetzwerke eigenen sich auch, um Staus zu verhindern sowie selbststeuernde Ampeln zu ermöglichen, und für smarte Produktionssysteme unter dem Stichwort "Werkplatz 4.0", erklärt Helbing. Auch die Bestandsaufnahme und der nachhaltigere Umgang mit Ressourcen könne über so ein Sensornetzwerk organisiert werden. Denn um komplexe Systeme zu Fall zu bringen, genügt laut Helbing oft ein einziger Auslöser, so der Wissenschaftler mit Verweis auf die Lehman-Brothers-Pleite, die hunderte von Banken in den Konkurs schlittern ließ, sowie den EU-weiten Strom-Blackout im November 2006, der von einer abgeschalteten Leitung ausgelöst wurde.

Um derartige Gefahren zu vermeiden, seien dezentrale Lösungen gefragt, die auf Basis von Echtzeitdaten und ständigem Feedback zur Selbstorganisation des Systems beitragen können. "Man muss sich das wie ein Ameisen- oder Bienenstaat vorstellen. Auch dort gibt die Königin nicht die Anweisung, was die einzelnen Tiere zu tun haben - es funktioniert einfach durch geeignete Regeln. Daten können viel dazu beitragen, dass diese Interaktionsregeln so adaptiert werden, dass Systeme krisenfest werden", zeigte sich Helbing überzeugt.

Dass die Gesellschaft die Hoheit über ihre Daten wiedererlange, sei eine wichtige Voraussetzung, um die Funktionsfähigkeit von Wirtschaft und Gesellschaft zu erhalten. Das Projekt Nervousnet gehe über den Ansatz von Open Data hinaus. "Solche offenen Daten sind natürlich toll, aber die Frage ist: Wo kriegen wir sie her? Facebook, Apple oder Google geben sie uns sicher nicht. Aber mit unseren Smartphones und den sensorbestückten Geräten, die noch kommen, haben wir die notwendigen Werkzeuge, um Daten selber zu sammeln und zu vernetzen", erklärte Helbing.

Der Weg zum Feudalismus 2.0

Einen etwas pessimistischeren Blick auf das digitale Zeitalter warf der Rostocker Universitätsprofessor Clemens Cap in seinem Vortrag. Er stellte die nicht unberechtigte Frage, ob die Entmündigung von Endanwender durch Konzerne wie Apple, Microsoft, Amazon oder Google nicht längst auf feudale Machtverhältnisse in der Kundenbeziehung hindeuten. "Einige wenige Lehnsherren erlauben die Nutzung ihrer Geräte und Dienste. Die Endanwender, die modernen Vasallen, profitieren einerseits davon, müssen gleichzeitig aber alle Regeln und Vorgaben bedingungslos akzeptieren, um das erstandene Gerät, sei es nun ein iPhone, ein Windows-PC, oder den bezahlten Dropbox-Account überhaupt verwenden zu können", sagte Cap.

Dass die Bevormundung noch eher zunehme, würden Berichte über Windows 10 zeigen, das im Hintergrund praktisch immer Daten an Microsoft sende. "Es ist bekannt, dass Microsoft bei Skype-Chats und E-Mails wie etwa auch Google mitliest und dadurch auch schon User wegen Kinderpornografie verpfiffen hat. Abgesehen vom ernsten Thema in diesem Fall: Dass ein privatwirtschaftliches Unternehmen in den privaten Kommunikationsverkehr von Kunden hineinschaut und Personen unter Generalverdacht stellt, erinnert schwer an Spitzelmethoden von Regimen", zeigte sich Cap kritisch. Die Methode werde auch nicht besser, wenn sie automatisiert von Computern oder Algorithmen durchgeführt werde.

Andere angeführte Beispiele betrafen die Beschränkungen Apples bei der Nutzung seines Ökosystems. Das iPhone sei praktisch unbrauchbar, wenn man keine Apple-ID und den damit verknüpften AGB zustimmt. Unverständlich sei auch, dass man als User nach einem Upgrade nicht mehr zu einer vorherigen Version zurückkehren könne. Auch dass nur Apps im Store freigeschaltet werden können, die dem Weltbild Apples entsprechen, entspreche einem digitalen Feudalismus 2.0. "Nach Kant wäre die Zeit nun reif für die digitale Aufklärung. Ungeachtet einiger Open-Source-Projekte und Hardware wie dem Librem-Notebook, bei dem sich im Sinne des Datenschutzes Mikrofon, Kamera und WLAN mit Kill Switch abschalten lassen, bin ich mir aber nicht sicher, ob der eingeschlagene Weg noch umkehrbar ist", zeigte sich Cap skeptisch.

Der Mensch in der Industrie 4.0

Ebenfalls zum Nachdenken regte Priska Altorfer von der Schweizer Informatik Gesellschaft an. Sie warf einen Blick auf kulturelle und ethische Aspekte, die beim Thema Industrie 4.0 aufgrund der technischen Herausforderungen oftmals übersehen werden. In den wirtschaftlich herausfordernden Zeiten sei die Diskussion meist von Fragen der Effizienz- und Effektivitätssteigerung geplant. Neben der Automatisierung von vielen Arbeitsschritten, die Menschen in gewissen Produktionsprozessen überflüssig machen, sei von vielen Beschäftigten auch eine hohe Flexibilität und Individualisierung gefordert, die mit gesellschaftlichen Begebenheiten - Stichwort unflexibler Schulalltag und Öffnungszeiten - oftmals nur schwer unter einen Hut zu bringen seien.

"Keine Frage, der erste Enthusiasmus hinsichtlich der vierten industriellen Revolution ist gewichen. Wir werden nicht umhin kommen, uns auch brennenden kulturellen und ethischen Fragen zu stellen", sagte Altorfer. "Wie reagieren wir auf neue Geschlechterrollen in dieser völlig veränderten Arbeitswelt? Fühlen wir uns als Do-it-yourself-Menschen, die mit ihrem kleinen Start-up ihr eigenes Ziel verfolgen, noch für die Gemeinschaft verantwortlich oder nur für uns selbst? Wo steht der Mensch in der Wertschöpfungskette neben den neuen Maschinen, die in der Fabrik 4.0 ihren Dienst verrichten?" Neben diesen gesellschaftlichen Implikationen blieben in dieser vernetzten Welt zudem viele Sicherheitsfragen noch unbeantwortet, so Altorfer.

Die Drohnen kommen

Mit verblüffenden Einblicken in die Welt der Drohnen-Forschung an der Universität Zürich fand das Netzwerktreffen einen würdigen wie unterhaltsamen Abschluss. Doktorand Elias Müggler referierte über Einsatzgebiete von unbemannten Drohnen und stellte eine neue Technologie vor, die am Institut für Informatik (Robotics and Perception Group) entwickelt wird. Um die Flugobjekte bei Rettungs- und Sucheinsätzen noch unabhängiger agieren zu lassen, bekommen diese ein auf den Boden ausgerichtetes Kameraauge.

Anstatt sich auf GPS und menschliche Steuerung verlassen zu müssen, die etwa in geschlossenen Räumen oder in der Stadt schnell an ihre Grenzen stoßen, scannt und analysiert die Drohne die Umgebung. Die Auswertung von markanten Bodenpunkten, die zur Orientierung dienen, erfolgt direkt an Bord auf einem Minicomputer. Weitere Sensoren, wie ein Beschleunigungssensor und Gyroskope helfen, die Punkte in Relation zu setzen und den Quadrocopter mit vier Rotoren zu stabilisieren.

"Der Vorteil liegt auf der Hand: Das System ist völlig unabhängig von externer Infrastruktur. Auch menschliche Fehlleistungen, die gerade in einer Krisen- und Stresssituation bei der Steuerung auftreten können, sind so vermeidbar", erklärte Müggler. Auch wenn die prinzipiell bestehende Funkverbindung zu den Einsatzkräften abreiße, könne die Drohne weiterhin ihre Arbeit verrichten und im Ernstfall Leben retten, sagte Müggler. Beim Projekt an der Universität Zürich handelt es sich um Grundlagenforschung. Erklärtes Ziel sei es aber, derartige Drohnentechnologie künftig in Such- und Rettungseinsätzen verwenden zu können.

Unterlagen und weitere Informationen dazu bei Future Network, A- 1070 Wien, Kaiserstrasse 14/2, Web: http://www.future-network.at/de/zum-thema-it-markt/technologieoutlook/ , Mail: haberl@future-network.at oder unter Tel.: 00431522 36 36 37.

(Ende)
Aussender: Future Network
Ansprechpartner: Mag. Bettina Hainschink
Tel.: +43 1 5223636-0
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