pts20170624009 Medizin/Wellness, Forschung/Entwicklung

Schlaganfall: In Zukunft könnten fast dreimal so viele Patienten ohne Behinderung überleben

Thema auf dem 3. Kongress der European Acadamy of Neurology (EAN) in Amsterdam


Amsterdam (pts009/24.06.2017/12:00) "Die letzten Jahre haben in der Geschichte der Schlaganfallbehandlung mehr Durchbrüche gebracht als die letzten 20 Jahre davor", fasst Prof. Urs Fischer, Generalsekretär der European Stroke Organisation (ESO) und Schlaganfallexperte an der Neurologischen Abteilung der Universität Bern, die aktuellen Entwicklungen zusammen. Fortschritte in der Schlaganfalltherapie sind ein wichtiges Thema auf dem 3. Kongress der European Acadamy of Neurology (EAN) in Amsterdam. "Mit der Einführung der endovaskulären Therapie können wir heute auch Patienten mit großen Gefäßverschlüssen behandeln und wie die neuesten Forschungsarbeiten zeigen, werden wir damit in Zukunft noch weit mehr Betroffene retten und ihnen ein Leben mit schweren Behinderungen ersparen können."

Schlaganfall ist die zweithäufigste Todesursache weltweit

Schlaganfälle gelten heute als die Epidemie des 21. Jahrhunderts. Weltweit sind ein Fünftel der Frauen und ein Sechstel der Männer im Lauf ihres Lebens davon betroffen. Mehr als jeder zehnte Todesfall wird von einem Schlaganfall verursacht - damit ist der zerebrovaskuläre Insult weltweit die zweithäufigste Todesursache überhaupt. Zudem sind Schlaganfälle auch die zweithäufigste Ursache für dauerhafte und in vielen Fällen schwere Behinderungen.

Auch große Gefäßverschlüsse entfernbar

Ein wesentlicher Meilenstein war die Einführung der intravenösen Thrombolyse vor rund 15 Jahren, mit der schlaganfallauslösende Blutgerinnsel in den Gehirngefäßen medikamentös aufgelöst werden. Das Problem dabei: In etwa zehn bis 20 Prozent der Fälle sind die Verschlüsse so massiv, dass diese Behandlungsmethode nicht ausreichend greift. Dafür steht seit wenigen Jahren eine mechanische Alternative bereit: Mit der endovaskulären Thrombektomie wird der Verschluss mit einem über die Leiste eingeführten Katheter aus dem Gehirngefäß herausgezogen.

Prof. Fischer: "Die klinischen Effekte dieser akuten Schlaganfallbehandlungen sind oft augenfällig. Patienten, die mit ernsthaften neurologischen Defiziten eingeliefert werden, zeigen sofort nach der Rekanalisation Verbesserungen. Einige können sogar bereits nach wenigen Tagen aus dem Krankenhaus entlassen werden." Inzwischen ist die Effizienz dieser Methode wissenschaftlich gut belegt: "Gleich acht Studien konnten übereinstimmend belegen, dass die endovaskuläre Behandlung von Patienten mit akuten Verschlüssen großer Gefäße im Gehirn der rein medikamentösen Therapie überlegen ist", so Prof. Fischer.

Neue Daten: Thrombektomie hilft auch noch mehr als sechs Stunden nach dem Anfall

Auch wenn die Zahl derartiger Behandlungen laufend steigt, kommt die bahnbrechende Innovation bislang erst einem geringen Prozentsatz aller Patienten zugute. Mit ein Grund dafür ist, dass Experten bisher davon ausgingen, eine mechanische Gerinnselentfernung sei nur innerhalb von sechs Stunden nach Eintritt des Ereignisses möglich. Die vor Kurzem präsentierte DAWN-Studie hat diese Annahme nun widerlegt: 48,6 Prozent der Patienten überstanden einen mehr als sechs Stunden zurückliegenden Schlaganfall nach einer Kombinationsbehandlung aus Thrombektomie und Thrombolyse ohne gravierende Behinderung. In der Vergleichsgruppe, die nur die medikamentöse Therapie erhalten hatte, kamen nur 13,1 Prozent ohne Folgeschäden davon. "Das bedeutet eine relative Verminderung der Behinderungen um 73 Prozent", fasst Prof. Fischer zusammen. "Mit diesen neuen Erkenntnissen könnten wir die Rate an Patienten, die ein unabhängiges Leben ohne Behinderung führen können, um bis zu 270 Prozent steigern."

Versorgung in Europa noch höchst unterschiedlich

"Wir können das gesamte Potential dieser neuen Möglichkeiten allerdings nur ausschöpfen, wenn wir die Strukturen und Abläufe der Schlaganfallversorgung auch an die aktuellen Erkenntnisse anpassen", betont der designierte EAN-Präsident Prof. Dr. Franz Fazekas von der Universitätsklinik Graz, Österreich. Aus diesem Grund hat die EAN bereits im Vorjahr gemeinsam mit fünf anderen relevanten Fachgesellschaften eine Leitlinie für den Einsatz der Thrombektomie publiziert, in der alle organisatorischen und personellen Anforderungen von der Wahl der geeigneten Instrumente bis hin zur Nachsorge definiert wurden. "Leider zeigt ein von ESO, ESMINT und SAFE gemeinsam mit der EAN europaweit erhobener Survey, dass die Versorgungssituation bei Thrombolyse und Thrombektomie in einigen Teilen Europas noch unbefriedigend ist", bedauert Prof. Fazekas. "Einige europäische Länder sind für diesen neuesten Durchbruch in den Behandlungsmöglichkeiten nicht ausreichend gerüstet."

In vielen Fällen bleibt den Patienten die jüngsten neurologischen Errungenschaften deshalb verwehrt, weil die Krankenhäuser über keine Stroke Units und kein ausreichend geschultes Personal verfügen. "Es darf aber nicht vom Wohnort abhängen, ob jemand eine optimale Betreuung nach einem so häufigen und gravierenden Ereignis wie einem Schlaganfall bekommt", so Prof. Fazekas. "Die EAN wird mit all ihren Möglichkeiten dazu beitragen, diese Unterschiede so rasch wie möglich auszugleichen. Dabei werden wir wie schon bei der Erstellung des Surveys und der Thrombektomie-Leitlinie eng mit allen in die Schlaganfallforschung und -versorgung involvierten Organisationen zusammenarbeiten."

Verbesserungsbedarf auch in Ländern mit guter Versorgung

Dass es aber auch in Ländern mit gut ausgebauter Schlaganfall-Infrastruktur durchaus noch Verbesserungsmöglichkeiten gibt, ist eine der Fragestellungen, die im aktuellen "Value of Treatment"-Bericht des European Brain Council behandelt wird. Diese soeben vorgelegte Publikation beschäftigt sich mit noch bestehenden Lücken in der neurologischen Versorgung.

In vielen Fällen vergeht immer noch zu viel Zeit zwischen dem Ereignis und dem Beginn der Behandlung: "Die symptom-to-needle-time zu reduzieren, ist ein zentraler Faktor zur Verbesserung des Prognose", so Prof. Fazekas. "Unglücklicherweise zögern aber viele Patienten trotz aller Aufklärungskampagnen immer noch zu lange mit einem Notruf. Das ist schon deshalb bedauerlich, weil die Zeit bis zum Einsetzen der Behandlung über Behinderung oder selbstbestimmtes Leben entscheiden kann."

Wie der Experte betont, gibt es auch innerhalb der Behandlungszentren noch Verbesserungsmöglichkeiten. Nach den in den meisten europäischen Ländern gültigen Behandlungsrichtlinien sollten zwischen dem Eintreffen der Patienten und dem Beginn der Behandlung nicht mehr als eine Stunde vergehen. Prof. Fazekas: "Auch 15 Jahre, nachdem die Wirksamkeit der intravenösen Thrombolyse bewiesen wurde, liegt diese door-to-needle time aber bei vielen Patienten immer noch über 60 Minuten."

Quellen: Clinical Mismatch in the Triage of Wake Up and Late Presenting Strokes Undergoing Neurointervention With Trevo (DAWN), ClinicalTrials.gov Identifier: NCT02142283; Aguiar de Sousa et al. ESO ESMINT EAN SAFE Survey On Acute Endovascular Stroke Care In Europe, Abstract ESOC 2017

(Ende)
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