pts20160529008 Medizin/Wellness, Sport/Events

Neue Erkenntnisse zu den Verbindungen zwischen Darmflora und Gehirn

EAN-Kongress: Immer mehr Hinweise, dass das Darm-Mikrobiom neurologische Krankheiten auslösen kann


Kopenhagen (pts008/29.05.2016/12:50) Darmbakterien, die mutig machen oder Multiple Sklerose auslösen können: Immer mehr Forschungsergebnisse bestätigen die Bedeutung der so genannten "Darm-Hirn-Achse" für die Neurologie und liefern Hinweise dafür, dass der Auslöser für einige neurologische Erkrankungen im Verdauungsorgan sitzen könnte. "Das Darm-Mikrobiom kann das zentrale Nervensystem, die Entwicklung von Nervenzellen und das Immunsystem beeinflussen. Ein besseres Verständnis für seine Wirkung könnte unsere Therapiemöglichkeiten revolutionieren", sagte Dr. Patricia Lepage vom Institut National de la Recherche Agronomique in Jouy-en-Josas (Frankreich) auf dem 2. Kongress der European Academy of Neurology (EAN) in Kopenhagen.

Darmflora beeinflusst Verhalten

Das Darm-Mikrobiom ist die Gesamtheit der menschlichen Darmflora mit all ihren Bakterien, Archaeen, Viren und Pilzen. Lange Zeit schien der Gedanke abwegig, dass das Mikrobiom auch für Prozesse außerhalb des Verdauungstrakts verantwortlich sein könnte. Doch die Wissenschaft fördert immer weitere, erstaunliche Details zutage: Rezente Untersuchungen an Versuchstieren, die ohne Mikroorganismen (keimfrei) aufwachsen, zeigen beispielsweise, dass Mikroorganismen im Darm sogar in der Lage sind, das Verhalten zu beeinflussen.

"Darm-Mikroben können nachweislich Neuromediatoren produzieren, die auf das Gehirn wirken. Keimfreie Mäuse zeigten sich beispielsweise weniger ängstlich als Artgenossen, deren Darm mit der natürlichen Flora besiedelt war. Allerdings gibt es bislang nur sehr spärliche Daten dazu, wie dieser Vorgang im menschlichen Gehirn abläuft", berichtete Dr. Lepage.

Erwiesen ist inzwischen, dass Darm und Gehirn über mehrere Kommunikationswege miteinander verbunden sind: Über den Vagus-Nerv, das Immunsystem, über das Nervensystem des Darms sowie über mikrobielle Stoffwechselvorgänge. Darmbakterien bauen beispielsweise Kohlehydrate in kurzkettige Fettsäuren um, etwa in Buttersäure. Diese festigt die Verbindungen zwischen den Zellen und verstärkt somit die Blut-Hirn-Schranke, die eine zelluläre Mauer darstellt, die das Gehirn vor Infektionen und Entzündungen schützt

Darm-Mikrobiom reguliert Gehirnprozesse

Für den Neurowissenschafter Prof. John F. Cryan (APC Microbiome Institute, University College Cork, Irland) steht außer Frage, dass das Darm-Mikrobiom fundamentale Gehirnprozesse reguliert, die für die Entstehung neurologischer Krankheiten wichtig sind: "Wir untersuchten das Gehirn von keimfreien Mäusen. In einer Region, dem präfrontalen Kortex, fanden wir eine stärkere Myelinisierung als bei normal gehaltenen Tieren. Das könnte direkte Folgen für Krankheiten haben, bei denen die Myelinscheide betroffen ist. Vom Mikrobiom abhängig sind außerdem die Bildung von Nervenzellen des Hippocampus im Erwachsenenalter und die Aktivierung der Mikroglia, also der immunzellähnlichen Zellen in Gehirn und Rückenmark."

Experimentelle Modelle zur Entstehung von Autoimmunität legen nahe, dass auch hier das Darm-Mikrobiom eine wichtige Rolle spielt. Diese Einsicht bietet einen neuen Ansatz, um die Ursache für Multiple Sklerose (MS) zu finden. MS ist eine Autoimmunerkrankung, die aus einer Verbindung von genetischen und umweltbedingten Faktoren entsteht. "Offenbar sind es aber nicht krankmachende, sondern für die Verdauung notwendige, nützliche Bakterien, die Multiple Sklerose auslösen können", berichtete Dr. Gurumoorthy Krishnamoorthy vom Max-Plank-Institut für Neurobiologie in Martinsried (Deutschland). Im Versuch mit genetisch veränderten Mäusen zeigte sich, dass Tiere mit normal ausgeprägter Darmflora ohne äußere Einflüsse eine Entzündung im Gehirn entwickelten. Hingegen blieben keimfreie Mäuse gesund.

Wie Dr. Krishnamoorthy erörterte, wird das Immunsystem der Mäuse mit normaler Darmflora in zwei Phasen aktiviert: Zunächst werden T-Zellen in den Lymphgefäßen des Darmtraktes aktiv und vermehren sich. Diese regen dann zusammen mit den Oberflächenproteinen der Myelinschicht B-Zellen zur Bildung krankmachender Antikörper an. "Beides löst Entzündungsreaktionen im Gehirn aus, die schubweise die Myelinschicht zerstören - ganz ähnlich, wie auch die MS-Erkrankung beim Menschen verläuft", so der Experte.

Dieser Prozess lässt vermuten, dass nicht Störungen im Nervensystem, sondern eine Veränderung des Immunsystems zur MS-Erkrankung führt. Forscher nehmen an, dass auch die Darmflora des Menschen eine Überreaktion des Immunsystems gegen die Myelinschicht hervorrufen kann, wenn eine entsprechende genetische Veranlagung dazu vorliegt. Welche Bakterien an der Entstehung von MS beteiligt sind ist allerdings noch unklar.

Das Darm-Mikrobiom

Das Mikrobiom besteht aus bis zu 1.000 verschiedenen Bakterienarten und hat mit etwa 100 Billionen Zellen zehnmal so viele Zellen und 150mal so viele Gene wie der Mensch. Es entwickelt sich mit seinem menschlichen "Wirt" in einem symbiotischen Verhältnis. Die Entwicklung des fein abgestimmten Ökosystems Darm-Mikrobiom ist von einer Reihe von Faktoren abhängig: Ob und welche Mikroorganismen bei der Geburt aus dem Geburtskanal der Mutter aufgenommen werden; ob man Antibiotika ausgesetzt ist; welche Nahrung man zu sich nimmt; Infektionen; Stress und die genetische Veranlagung. Ältere Personen mit schlechtem Gesundheitszustand haben häufig auch eine geringere Vielfalt an Mikroorganismen in ihrem Mikrobiom oder entzündungsfördernde Erscheinungsformen.

Quellen: EAN 2016 Abstracts: Lepage P, Microbiota and the gut-brain axis; Krishnamoorthy G, Microbiota and CNS autoimmunity (Multiple Sclerosis); Cryan JF, Gut microbiome: a key regulator of neurodevelopment and behaviour

(Ende)
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