pte20120320003 Technologie/Digitalisierung, Medien/Kommunikation

Social Media: Zivilgesellschaft muss kontrollieren

Friedrich Krotz hält Vortrag über Folgen der Mediatisierung


Krotz: sieht Zivilgesellschaft am Zug (Foto: uni-bremen.de)
Krotz: sieht Zivilgesellschaft am Zug (Foto: uni-bremen.de)

Wien (pte003/20.03.2012/06:05) Friedrich Krotz von der Universität Bremen http://uni-bremen.de hat gestern, Montag, in Wien einen Vortrag mit dem Titel "Soziale Beziehungen in mediatisierten Gesellschaften" gehalten. Die Veranstaltung war der Auftakt zu den Hedy Lamarr Lectures 2012, die vom Medienhaus Wien http://medienhaus-wien.at , der Österreichischen Akademie der Wissenschaften http://oeaw.ac.at und der Telekom Austria http://www.telekomaustria.com organisiert werden. Alle vier Vorträge der diesjährigen Reihe beschäftigen sich mit den Auswirkungen der sozialen Medien auf die Gesellschaft.

Irritierte Ordnung

"Neue Medien irritieren immer die vorhandene Ordnung, weil sie Zugang zu neuem Wissen ermöglichen", sagt Krotz. Ein solcher Wechsel bringt laut dem Soziologen und Mathemathiker immer Chancen, aber gleichzeitig auch Risiken mit sich. Durch die zunehmende Mediatisierung der Gesellschaft nehmen immer mehr Medien einen immer größeren Teil unserer Zeit in Anspruch. Dabei ermöglichen neue Medien neue Formen der Kommunikation. Beim Verstehen der Auswirkungen neuer Medien auf die Gesellschaft und unseren Alltag hilft der Vergleich mit der Vergangenheit. Die sozialen Netzwerke sind lediglich ein weiterer Mediatisierungs-Schritt.

Dinge, die früher von Angesicht zu Angesicht erledigt wurden, können jetzt über technische Kanäle abgewickelt werden. "Die Technik ist dabei nicht wichtig. Relevant sind die sozialen und kulturllen Bedingungen", sagt Krotz. Auch die "Technologie Buch" hat sich gesellschaftlichen Veränderungen angepasst, von durchgehenden Buchstabenschlangen zu unseren heutigen Texten mit einzelnen Wörtern, Absätzen und Überschriften", so Krotz. Wenn man im Kontext sozialer Netzwerke von Kommunikation spricht, geht es nicht nur um den Transport von Information. "Kommunikation ist alles, was Beziehungen herstellt. Beziehungen beinhalten Interaktionsmuster, die Menschen haben, und innere Bilder", so der Wissenschaftler.

Virtuelle und reale Welt

Durch mediatisierte Formen der Kommunikation entstehen neue Formen von Beziehungen, etwa zu Computerspielfiguren oder GPS-Geräten. Die mediatisierte Kommunikation mittels Handy oder Brief verändert auch Beziehungen zwischen Menschen. Diese virtuellen Kommunikationsformen ergänzen das Kontaktrepertoire der Menschen, die Grenzen zwischen virtueller und realer Kommunikation verschwimmen zunehmend. Auch zu Gruppen, die Religion, Sport, Hobby oder Musikgeschmack teilen und deren Mitglieder Menschen nicht persönlich kennen, entstehen Beziehungen. In sozialen Netzwerken werden diese Entwicklungen abgebildet.

"Digitale Medien machen die Kommunikation komplexer, da es neue Beziehungen gibt. Die sozialen Netzwerke bilden eine Art zweites Netz, über das auch alle alten Beziehungen kontaktiert werden können. Nähe ist durch diese ortsunabhängigen Kommunikationsmittel kein wichtiges Kriterium mehr. Gemeinschaft definiert sich jetzt über Intreressen", erklärt Krotz. Anbieter wie Facebook bieten dabei nur das Umfeld, in dem Menschen ihre sozialen Beziehungen organisieren können. "Die großen Internet-Konzerne generieren keine neuen Beziehungen. Dass sie den Nutzern ihre eigenen Regeln auferlegen, birgt Risiken", erläutert Krotz.

Chance für Zivilgesellschaft

Die Betreiber sozialer Netzwerke verfolgen eigene Interesssen. "Die Daten werden enteignet und Abhängigkeiten werden erzeugt. Das Problem sind aber nicht die Medien, sondern deren Organisation. Die Gesellschaft setzt sich zu wenig damit auseinander", so Krotz. Die bestehenden Netzwerke sind laut dem Wissenschaftler keine soziale Software, da sie eigentlich nichts generieren. "Die Technik bietet viele Chancen, aber die derzeitige Organisationsform, die den Nutzern von Konzernen auferlegt wird, ist problematisch für die Gesellschaft", meint Krotz.

Menschen und Medien nähern sich einander zunehmend an. Über Handys werden Medien zunehmend ins Ich integriert, während soziale Netzwerke, Avatare und Ähnliches das Ich zunehmend in Medien integrieren. Durch den zunehmenden Zerfall des früher stabilen Alltags übernehmen Medien zudem eine stabilisierende Funktion. "Wie wir die Welt an die nächste Generation übergeben, liegt an uns. Derzeit guckt die Gesellschaft bei der Mediatisierung zu und denkt an Rendite", so Krotz. Andere Entwicklungen, wie Globalisierung, Ökonomisierung und Individualisierung wechselwirken zudem noch mit der Entwicklung der Medien.

"Ich bin kein Pessimist. Es ist Aufgabe der Zivilgesellschaft, diese Entwicklungen zu kontrollieren und in Bahnen zu lenken, die den Menschen zugute kommen. Wir sind diesen Umwälzungen nicht ausgeliefert, wir müssen sie nur in den Griff bekommen. Bisher sind partizipative Medien stets gescheitert, im Falle des Internets hoffe ich aber, dass es sich durchsetzt", schließt Krotz hoffnungsfroh.

(Ende)
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